Die historischen Romane
die anderen.
So kam es, dass er, als er den richtigen Rauschzustand erreicht hatte, den Vorschlag machte – unterstützt durch fahrige Striche, die er mit einem in Wein getauchten Finger auf den Tisch malte –, dass der Palast so sein müsse wie der, welchen der Apostel Thomas für Gundophar, den König der Inder, gebaut habe: Decken und Architrave aus zyprischem Holz, das Dach aus Ebenholz, darüber eine Kuppel, gekrönt von zwei goldenen Äpfeln, auf deren jedem zwei Karfunkel schimmerten, so dass am Tag das Gold im Licht der Sonne erglänzte und bei Nacht die Edelsteine in dem des Mondes. Danach hörte er auf, sich auf sein Gedächtnis und die Autorität des Apostels zu verlassen, und sah Pforten aus Sardonyx, geschmückt mit Hörnern der Hornviper, die den Eintretenden daran hinderten, Gift in den Palast zu bringen, und Fenster aus Kristall, goldene Tische, getragen von elfenbeinernen Säulen, Lampen mit Balsamöl und schließlich das Bett des Priesters aus Saphir zum Schutze der Keuschheit, denn – so endete der Poet – »dieser Johannes mag König sein, so viel ihr wollt, aber er ist auch Priester, und daher nix mit Frauen.«
»Alles sehr schön soweit«, sagte Baudolino, »aber im Palast eines Königs, der über ein so ausgedehntes Reich gebietet, würde ich in irgendeinem Saal auch jene Automaten unterbringen, die es in Rom gegeben haben soll, die immer sofort meldeten, wenn es irgendwo in einer der vielen Provinzen einen Aufstand gab.«
»Ich glaube nicht«, meinte Abdul, »dass es im Reich des Priesters Johannes irgendwo Aufstände geben kann, wo doch überall Friede und Harmonie herrschen.« Trotzdem gefiel ihm die Idee mit den Automaten, denn schließlich wusste ja jeder, dass ein so großer Herrscher, ob Maure oder Christ, Automaten am Hof haben musste. Also sah er sie und machte sie durch eine schöne Redewendung auch für seine Freunde sichtbar: »Der Palast steht auf einem Berg, und der Berg ist aus Onyx, und sein Gipfel ist so glattpoliert, dass er glänzt wie der Mond. Der Tempel ist rund, er hat eine Kuppel aus Gold, und golden sind auch seine Wände, besetzt mit Edelsteinen, die so funkeln, dass sie im Winter heizen und im Sommer kühlen. Die Decke ist besetzt mit Saphiren, die den Himmel darstellen, und mit Karfunkeln für die Sterne. Eine vergoldete Sonne und ein versilberter Mond sind die Automaten, die über das Himmelsrund wandern, und mechanische Vögel singen jeden Tag, während vier Engel aus Goldbronze sie mit Trompeten begleiten. Der Palast erhebt sich über einem verborgenen Brunnen, in welchem Pferdegespanne einen Mühlstein bewegen, den sie entsprechend dem Wechsel der Jahreszeiten rotieren lassen, so dass er zu einem Abbild des Kosmos wird. Unter dem Kristallboden schwimmen Fische und allerlei Fabelwesen des Meeres. Aber ich habe auch von Spiegeln gehört, in denen man alles sehen kann, was irgendwo geschieht. Das wäre doch sehr nützlich für den Priester, um auch die äußersten Grenzen seines Reiches zu kontrollieren ...«
Der Poet, der sich immer mehr für die Architektur erwärmte, begann den Spiegel zu zeichnen und erklärte dazu: »Er ist sehr hoch oben angebracht, man steigt über hundertfünfundzwanzig Stufen aus Porphyr zu ihm hinauf ...«
»Und aus Alabaster«, suggerierte Boron, der sich bisher schweigend der Wirkung des Honigs überlassen hatte.
»Na gut, tun wir auch Alabaster mit rein. Und die obersten Stufen sind aus Amber und Panthera.«
»Was ist Panthera? Der Vater von Jesus?« fragte Baudolino.
»Red keinen Unsinn, das steht bei Plinius, das ist ein bunter Stein. Aber in Wirklichkeit steht der Spiegel auf einem einzigen Pfeiler. Oder nein, dieser Pfeiler stützt eine Basis, auf der zwei Pfeiler stehen, und diese stützen eine Basis, auf der vier Pfeiler stehen, und so immer weiter, bis auf der mittleren Basis vierundsechzig Pfeiler stehen. Diese stützen eine Basis mit zweiunddreißig Pfeilern, diese eine mit sechzehn, und so immer weiter, bis ganz oben nur noch ein einziger Pfeiler steht, auf dem sich der Spiegel erhebt.«
»Hör zu«, sagte Rabbi Solomon, »bei dieser Pfeilerkonstruktion stürzt der Spiegel runter, sobald sich einer unten nur leise anlehnt.«
»Du sei still, du bist falsch wie die Seele des Judas. Erst findest du nichts dabei, wenn euer Ezechiel einen Tempel sieht, bei dem niemand kapiert, wie er gebaut sein soll, und wenn ein christlicher Maurer kommt und dir sagt, dass er zusammenkracht, antwortest du ihm, Ezechiel hätte halt
Weitere Kostenlose Bücher