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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dem Adam gegeben hat und die beim Turmbau zu Babel in alle Winde zerstreut worden ist.«
    »Ich weiß eine schön verrückte Geschichte«, sagte Abdul. »Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass die Sprache Adams auf ihrer Insel rekonstruiert worden sei, nämlich in Gestalt der gälischen Sprache, die sich aus neun Wortarten zusammensetze – Nomen, Pronomen, Verb, Adverb, Partizip, Konjunktion und so weiter –, also aus ebenso vielen wie den neun Materialien, aus denen der Turm zu Babel bestanden habe: Ton und Wasser, Wolle und Blut, Holz und Kalk, Pech, Leinen und Teer ... Es seien die zweiundsiebzig Weisen der Schule von Fenius gewesen, welche die gälische Sprache zusammengebastelt hätten aus Fragmenten aller zweiundsiebzig Idiome, die nach der babylonischen Sprachverwirrung entstanden seien, und daher enthalte das Gälische die besten Elemente aus allen Sprachen und habe, genau wie die Sprache Adams, die gleiche Form wie die geschaffene Welt, so dass in ihr jeder Name das Wesen dessen ausdrücke, was er benenne.«
    Rabbi Solomon lächelte nachsichtig. »Viele Völker glauben, dass die Sprache Adams die ihre sei, wobei sie vergessen, dass Adam nur die Sprache der Torah sprechen konnte, nicht die jener Bücher, die von falschen und lügnerischen Göttern erzählen. Den zweiundsiebzig Sprachen, die nach der Verwirrung entstanden sind, fehlen grundlegende Buchstaben. So kennen die Gojim beispielsweise nicht das Het , und die Araber haben kein Peh , und deswegen ähneln manche Sprachen dem Grunzen der Schweine, andere dem Krächzen der Frösche oder dem Kreischen der Kraniche, und das sind genau die Sprachen von Völkern, welche die richtige Lebensführung aufgegeben haben. Dennoch stand die ursprüngliche Torah im Moment der Schöpfung vor dem Angesicht des Allerhöchsten, heilig sei immerdar der Gesegnete, geschrieben wie schwarzes Feuer auf weißem Feuer, in einer Ordnung, die nicht die der geschriebenen Torah ist, wie wir sie heute lesen, und die sich erst nach dem Sündenfall Adams manifestiert hat. Deshalb verbringe ich jede Nacht Stunden und Stunden damit, in großer Konzentration die Lettern der geschriebenen Torah zu buchstabieren, um sie zu verrühren und kreisen zu lassen wie das Rad einer Windmühle und daraus wiedererstehen zu lassen die ursprüngliche Ordnung der ewigen Torah, die vor der Schöpfung bestand und übergeben wurde den Engeln des Allerhöchsten, gesegnet sei der Heilige immerdar. Wenn ich wüsste, dass es ein fernes Reich gibt, in dem die ursprüngliche Ordnung sich gehalten hat und somit auch die Sprache, die Adam mit seinem Schöpfer vor dem Sündenfall sprach, würde ich gern mein ganzes Leben darauf verwenden, nach diesem Reich zu suchen.«
    Bei diesen Worten war in Solomons Antlitz ein solches Leuchten getreten, dass die Freunde sich fragten, ob es nicht gut sein würde, ihn an ihren künftigen Sitzungen teilnehmen zu lassen. Der Poet fand das ausschlaggebende Argument: Dass dieser Jude im Reich des Priesters Johannes seine Ursprache und seine zerstreuten zehn Stämme wiederfinden wolle, dürfe sie nicht stören; der Priester Johannes müsse so mächtig sein, dass er sogar über die verstreuten Stämme der Juden herrschte, und warum sollte er nicht auch die Sprache Adams sprechen? Das Hauptproblem sei doch jetzt erst einmal, dieses Reich zu konstruieren, und dabei könne ein Jude genauso nützlich sein wie ein Christ.
    Bei alledem hatten sie sich noch nicht entschieden, wie der Palast des Priesters beschaffen sein sollte. Sie lösten dieses Problem in der folgenden Nacht, zu fünft in Baudolinos Zimmer versammelt. Inspiriert vom genius loci entschloss sich Abdul, den neuen Freunden das Geheimnis des grünen Honigs zu enthüllen, wobei er sagte, es könne ihnen helfen, sich den Palast des Priesters nicht bloß zu denken, sondern ihn direkt vor sich zu sehen.
    Rabbi Solomon sagte sofort, er kenne beträchtlich mystischere Methoden, sich Visionen zu verschaffen, für diese Nacht genüge es ihm, die vielfachen Kombinationen der Lettern des heiligen Namens Gottes zu murmeln und sie auf der Zunge zu drehen wie eine Rolle, ohne sie je zur Ruhe kommen zu lassen, daraus entstehe ein Strudel von Gedanken wie von Bildern, der sich immer schneller drehe, bis man in eine selige Erschöpfung verfalle.
    Der Poet war zuerst misstrauisch, dann entschloss er sich zu probieren, wobei er die Kraft des Honigs mit der des Weins zu zähmen gedachte, und am Ende verlor er jedes Maß und faselte besser als

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