Die historischen Romane
Karren, den er sah, wurde von Ochsen gezogen, obwohl die Insassen alle wie Herren gekleidet waren, und rings um den Karren war niemand zu sehen, der kämpfte. Die Trompeter ließen ab und zu eine Fanfare ertönen und verstummten dann abwartend. Einer von ihnen deutete mit dem Finger auf ein Knäuel von Leuten am Flussufer, die noch wild aufeinander eindroschen und dabei so laut brüllten, dass es die Toten aufwecken konnte, ein anderer versuchte die Ochsen anzutreiben, die jedoch, schon von Natur aus störrisch, nicht die geringste Neigung zeigten, sich in jenes Gebrüll einzumischen.
Was mache ich, fragte sich Baudolino, stürze ich mich zwischen diese Hitzköpfe, bei denen ich, wenn sie nicht sprechen, nicht einmal weiß, welche von ihnen die Feinde sind? Und während ich darauf warte, dass sie sprechen, krieg ich womöglich eins auf die Rübe?
Während er noch überlegte, kam ihm ein anderer Reiter entgegen, und diesmal war es ein Ministeriale, den er gut kannte. Der Mann erkannte ihn ebenfalls und rief: »Baudolino, wir haben den Kaiser verloren!«
»Jesus! Was soll das heißen, ihr habt ihn verloren?«
»Jemand hat ihn kämpfen sehen wie ein Löwe mitten in einer Schar von Fußsoldaten, die sein Pferd zu dem Wäldchen dort drängten, dann sind alle zwischen den Bäumen verschwunden. Wir sind sofort hingeritten, aber da war niemand mehr. Er muss versucht haben, irgendwohin zu fliehen, jedenfalls ist er nicht zum Gros unserer Reiter zurückgekehrt ...«
»Und wo ist das Gros unserer Reiter?«
»Tja, das Schlimme ist nicht nur, dass er nicht zum Gros unserer Reiter zurückgekehrt ist, sondern dass auch das ;Gros unserer Reiter nicht mehr da ist. Es war ein Gemetzel, sage ich dir, ein verfluchter Tag. Zu Anfang hatte sich Friedrich mit seinen Reitern auf die Feinde gestürzt, die alle zu Fuß zu sein schienen, alle dicht gedrängt um ihren komischen Katafalk. Aber diese Fußsoldaten haben sich gut gewehrt, und plötzlich ist dann die Reiterei der Lombarden aufgetaucht, so dass unsere Leute zwischen zwei Fronten gerieten.«
»Mit anderen Worten, ihr habt den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches verloren! Und das sagst du mir einfach so, Himmelherrgottsakra?!«
»Du bist offenbar eben erst angekommen und weißt gar nicht, was wir alles durchgemacht haben! Jemand behauptet sogar, er habe den Kaiser fallen sehen, aber er sei mit einem Fuß im Steigbügel hängen geblieben und von seinem Pferd eine Weile mitgeschleift worden!«
»Und was machen die Unseren jetzt?«
»Sie fliehen, schau nur, dort, sie verlieren sich zwischen den Bäumen, sie springen in den Fluss. Inzwischen geht das Gerücht, dass der Kaiser tot sei, und jeder versucht, sich auf eigene Faust nach Pavia durchzuschlagen.«
»Oh, diese Feiglinge! Und niemand sucht mehr nach unserem Herrn und Gebieter?«
»Es wird schon dunkel, auch die noch Kämpfenden hören jetzt auf, wie willst du da jemanden finden, hier auf diesem Schlachtfeld, und Gott weiß, wo?«
»Oh, diese Feiglinge«, rief Baudolino erneut, denn er war zwar kein Mann des Krieges, aber er hatte ein großes Herz. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte mit gezücktem Schwert in die Richtung, wo er die meisten Toten liegen sah, wobei er laut nach seinem geliebten Adoptivvater rief. Einen Toten zu finden unter so vielen anderen Toten auf diesem Schlachtfeld, indem man laut rief, er solle ein Lebenszeichen von sich geben, das war ein ziemlich verzweifeltes Unterfangen, so dass die letzten lombardischen Trupps, denen er begegnete, ihn passieren ließen, da sie ihn wohl für einen Heiligen des Paradieses hielten, der ihnen zu Hilfe gekommen war, und ihn mit freudigem Winken begrüßten.
An der Stelle, wo der Kampf besonders blutig gewesen sein musste, machte sich Baudolino daran, die auf dem Bauch liegenden Toten umzudrehen, immer hoffend und zugleich fürchtend, im schwachen Licht der Dämmerung die teuren Züge seines Kaisers zu entdecken. Er hatte die Augen voller Tränen und tastete sich fast blind voran, so dass er, als er aus einem Wäldchen kam, beinahe mit jenem großen weißroten Ochsenkarren zusammengestoßen wäre, der langsam das Schlachtfeld verließ. »Habt ihr den Kaiser gesehen?« rief er ebenso sinnlos wie rückhaltlos schluchzend hinauf. Die auf dem Karren lachten und sagten: »Ja, er war da unten in dem Gebüsch, um's mit deiner Schwester zu treiben«, und einer blies trötend in seine Trompete, so dass ein obszöner Ton herauskam.
Sie hatten das nur so hingesagt,
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