Die historischen Romane
Bedauern darüber, nur eine leichte Melancholie. Ich fühlte mich wie eine Taube, die schamlos geturtelt hatte, aber nun war die Zeit der Liebe vorbei. Es wurde Zeit, aufzubrechen und übers Meer zu reisen.«
»Du warst keine Taube mehr, du warst eine Schwalbe geworden.«
»Oder ein Kranich.«
16. Kapitel
Baudolino wird von Zosimos reingelegt
Am Samstag morgen kamen die Genueser Pevere und Grillo, um zu melden, dass in Konstantinopel allmählich wieder eine Art von Ordnung einzukehren beginne. Nicht so sehr, weil sich der Hunger auf Plünderung bei diesen Pilgern gelegt habe, sondern weil ihren Anführern aufgefallen sei, dass sie sich auch vieler wertvoller Reliquien bemächtigt hatten. Bei einem Kelch oder einem Damastgewand konnte man noch die Augen zudrücken, aber die Reliquien durften nicht in alle Winde zerstreut werden. Deshalb hatte der Doge Enrico Dandolo angeordnet, dass alle bisher gestohlenen Wertgegenstände in die Hagia Sophia zu bringen seien, damit dort eine gerechte Verteilung vorgenommen werden könne. Was zunächst einmal hieß, eine Verteilung zwischen Kreuzpilgern und Venezianern, welch letztere noch auf die Bezahlung dafür warteten, dass sie die Pilger mit ihren Schiffen hergebracht hatten. Nach Abzug dieser Summe würde man den Wert jedes Stückes in Silbermark berechnen, und dann würden die Ritter je vier Teile, die berittenen Sergenten zwei und die unberittenen ein Teil bekommen. Die Reaktion der einfachen Fußsoldaten, die nichts abbekommen sollten, kann man sich vorstellen.
Es wurde gemunkelt, die Abgesandten Dandolos hätten bereits die vier bronzenen Pferde vom Hippodrom abmontiert, um sie nach Venedig zu schicken, und alle maulten sehr unzufrieden. Als einzige Antwort hatte Dandolo angeordnet, Bewaffnete jeden Ranges zu kontrollieren und auch ihre Wohnungen in Pera zu durchsuchen. Bei einem Ritter des Grafen von Saint-Pol hatte man eine Phiole gefunden. Er sagte, es handle sich um eine Medizin, die jetzt getrocknet sei, aber als man sie in der warmen Hand bewegte, sah man, dass sie eine rote Flüssigkeit enthielt, die offensichtlich das Blut aus der Seite des Gekreuzigten war. Der Ritter beteuerte, er habe diese Reliquie vor der Plünderung ehrlich von einem Mönch erworben, doch um ein Exempel zu statuieren, hatte man ihn auf der Stelle gehängt, mit seinem Schwert und seinem Wappen um den Hals.
»Mann, wie der zappelte!« sagte Grillo.
Niketas hörte sich diese Nachrichten traurig an, aber Baudolino, der plötzlich verlegen war, als ob es seine Schuld wäre, wechselte rasch das Thema und fragte, ob es jetzt an der Zeit sei, die Stadt zu verlassen.
»Es herrscht noch ein großes Durcheinander«, sagte Pevere, »und man muss sehr vorsichtig sein. Wohin wolltet Ihr denn gehen, Herr Niketas?«
»Nach Selymbria, dort haben wir treue Freunde, die uns aufnehmen können.«
»Selymbria ist schwierig«, sagte Pevere. »Es liegt im Westen, kurz vor der Langen Mauer. Auch mit Maultieren braucht man bis dahin mindestens drei Tage und vielleicht mehr, wenn man eine schwangere Frau dabei hat. Und dann, stellt Euch vor, wer die Stadt mit einer schönen Maultierkarawane durchzieht, sieht aus wie einer, der sich's leisten kann, und die Pilger fallen über ihn her wie die Fliegen.« Also müssten die Maultiere außerhalb der Mauer bereitgestellt und die Stadt zu Fuß durchquert werden. Man müsste die Konstantinsmauer passieren und dann die Küste vermeiden, wo sicher mehr Leute unterwegs sein würden, also einen Umweg über die Mokioskirche machen und die Theodosiosmauer durch das Pegetor verlassen.
»Kaum zu erwarten, dass das gut geht und Ihr nicht vorher angehalten werdet«, sagte Pevere.
»Und dann viel Spaß!« kommentierte Grillo. »Bei so vielen Frauen läuft diesen Pilgern doch gleich das Wasser im Mund zusammen!«
Sie brauchten noch einen guten Tag, erklärten die Genueser, die jungen Frauen müssten erst hergerichtet werden. Das mit den Leprakranken ginge nicht noch einmal, inzwischen hätten auch diese Pilger begriffen, dass in der Stadt keine Leprakranken herumliefen. Diesmal müssten sie ihnen Flecken und Schorf ins Gesicht malen, damit sie aussähen, als ob sie die Krätze hätten, hässlich genug, dass einem die Lust auf sie verging. Außerdem musste man für so viele Leute, die drei Tage unterwegs sein würden, genug zu essen mitnehmen, sonst machten die schlapp. Sie würden Körbe mit ganzen Pfannenladungen scripilita herrichten, einem bei ihnen heimischen
Weitere Kostenlose Bücher