Die historischen Romane
aber Baudolino ging trotzdem auch in jenem Gebüsch nachsehen. Da lag ein Häuflein Toter, drei bäuchlings über einem vierten, der auf dem Rücken lag. Er hob die drei hoch, die ihm den Rücken zukehrten, und darunter erblickte er, mit rotem Bart, aber rot von Blut, Friedrich. Er sah sofort, dass er noch lebte, denn ein kaum hörbares Röcheln kam aus seinen halb geöffneten Lippen. An der Oberlippe hatte er eine Wunde, die noch blutete, und auf der Stirn eine dicke Beule, die bis zum linken Auge reichte; die Hände hielt er beide vorgestreckt und in jeder einen Dolch – es sah ganz so aus, als hätte er, kurz bevor ihm die Sinne schwanden, es noch geschafft, die drei Elenden zu durchbohren, die sich auf ihn gestürzt hatten.
Baudolino hob seinen Kopf an, wischte ihm das Blut vom Gesicht und rief seinen Namen, und Friedrich schlug die Augen auf und fragte, wo er sei. Baudolino tastete ihn ab, um herauszufinden, ob er noch an anderen Stellen verwundet war, und der Ärmste schrie auf, als er seinen Fuß berührte, vielleicht war er ja wirklich von seinem Pferd ein Stück weit mitgeschleift worden. Sanft auf ihn einredend, während der immer noch ganz Benommene abermals fragte, wo er sei, half Baudolino ihm auf die Beine. Da endlich erkannte ihn Friedrich und umarmte ihn.
»Mein Vater und Herr«, sagte Baudolino, »steig du jetzt auf mein Pferd, du darfst dich nicht anstrengen. Aber wir müssen vorsichtig sein, obwohl es inzwischen dunkel ist, denn hier sind überall Truppen der Liga, und wir können nur hoffen, dass sie alle gerade in irgendeinem Dorf dabei sind, ihren überraschenden Sieg zu feiern, den sie, wie mir scheint, ohne Offensive errungen haben. Aber einige könnten noch hiergeblieben sein, um nach ihren Toten zu suchen. Wir müssen uns durch Wälder und Schluchten, abseits der Straßen, bis nach Pavia durchschlagen, wohin die Deinen sich jetzt zurückgezogen haben werden. Du kannst im Sattel schlafen, ich werde aufpassen, dass du nicht runterfällst.«
»Und wer passt auf dich auf, dass du nicht im Gehen einschläfst?« fragte Friedrich mit einem gepressten Lächeln. Dann fügte er hinzu: »Es tut weh, wenn ich lache.«
»Ich sehe, es geht dir schon besser«, sagte Baudolino.
Sie gingen die ganze Nacht lang, stolpernd im Dunkeln, auch das Pferd, zwischen Wurzeln und niedrigen Sträuchern hindurch, und nur einmal sahen sie in der Ferne einige Feuer und machten einen weiten Bogen, um sie zu vermeiden. Um sich wach zu halten, redete Baudolino im Gehen, und Friedrich hielt sich wach, um ihn wach zu halten.
»Es ist aus«, sagte der Kaiser, »die Schmach dieser Niederlage werde ich nicht ertragen können.«
»Es war bloß ein Scharmützel, mein Vater. Außerdem halten dich alle für tot, du kehrst zurück wie der auferstandene Lazarus, und was wie eine Niederlage aussah, wird allen als ein Wunder erscheinen, für das man ein Te Deum singt.«
In Wahrheit versuchte Baudolino bloß, einen Verletzten und Gedemütigten zu trösten. An jenem Tag war das Prestige des Reiches böse beschädigt worden, von wegen Rex et Sacerdos! Es sei denn, Friedrich würde mit neuer Glorie umgeben wieder auf die Bühne treten. Und so konnte Baudolino nicht anders, als erneut an die Weissagung Ottos und den Brief des Priesters Johannes zu denken.
»Die Sache ist die, mein Vater«, sagte er, »dass du aus dem, was passiert ist, endlich etwas lernen müsstest.«
»Und was würdest du mir gern beibringen, Herr Gelehrter?«
»Nicht von mir sollst du's lernen, Gott behüte, sondern vom Himmel. Du musst dir zu Herzen nehmen, was Bischof Otto gesagt hat. In diesem Italien – je weiter du hier vorgehst, desto mehr verfängst du dich hier, man kann nicht Kaiser sein, wo es schon einen Papst gibt, bei diesen Städten wirst du immer verlieren, weil du sie zur Ordnung zwingen willst, die ein Kunstprodukt ist, während sie in der Unordnung leben wollen, die der Natur entspricht – oder wie die Pariser Philosophen sagen würden, die die Bedingung der Hyle , des ursprünglichen Chaos ist. Du musst den Blick nach Osten richten, über Byzanz hinaus, du musst die Insignien deines Reiches in jenen christlichen Ländern errichten, die sich hinter den Reichen der Ungläubigen erstrecken, und musst dich mit dem einzigen wahren Rex et Sacerdos zusammentun, der dort seit den Zeiten der Magier herrscht. Erst wenn du dich mit ihm verbündet hast oder er dir Vasallentreue geschworen hat, erst dann kannst du nach Rom zurückkehren und den Papst wie
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