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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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stand, ganz ohne Kinn, mit einer zu wulstigen Oberlippe, die Ohren spitz wie bei einem Hund, nach Baudolinos Ansicht eher – so sagte er – an Cichinisio, einen Dorftrottel, der durch die Straßen von Alexandria lief und den Mädchen unanständige Dinge nachrief, als an den verruchten Asketen, für den er sich bislang ausgegeben hatte. Um diesen beklagenswerten Eindruck zu korrigieren, bemalten sie ihn mit Schminke, und am Ende sah er aus wie ein Kinaidos , ein ostentativer Päderast, dem in der Lombardei die Jungen nachgelaufen wären, um ihn zu hänseln und mit faulem Obst zu bewerfen, aber in Konstantinopel sah man dergleichen jeden Tag, und so herumzulaufen sei dort ebenso normal, sagte Baudolino, wie wenn man in seiner Heimatstadt als Ricotta- oder Quarkkäsehändler herumlaufe.
    Sie waren bereits ein gutes Stück durch die Stadt gegangen, als sie sahen, wie Andronikos vorbeigeführt wurde, angekettet auf dem Rücken eines räudigen Kamels, noch kahler als sein Reittier, fast unbekleidet, mit einem schmutzigen Bündel blutiger Lappen um den Stumpf des rechten Arms und geronnenem Blut auf den hageren Wangen, denn man hatte ihm gerade ein Auge ausgestochen. Rings um ihn die verzweifeltsten Bewohner der Stadt, deren Herr und Gebieter er so lange gewesen war, Wurstmacher, Gerber, Krämer, Saufbolde aus allen Tavernen, die sich um ihn scharten wie Fliegenschwärme im Frühjahr um einen Pferdeapfel, ihn mit Knüppeln auf den Kopf schlugen, ihm Kuhmist in die Nasenlöcher stopften, ihm mit Urin und Jauche vollgesogene Schwämme über dem Gesicht ausdrückten, ihm mit Bratspießen in die Beine stachen, die mildesten bewarfen ihn mit Steinen und beschimpften ihn als tollwütigen Hund und Sohn einer läufigen Hündin. Aus dem Fenster eines Bordells goss eine Hure einen Topf kochendes Wasser über ihm aus, aber die Wut dieser rasenden Menge nahm noch zu: Als sie ins Hippodrom kamen, zerrten sie ihn vom Kamel herunter und hängten ihn mit den Füßen an den Balken zwischen den beiden Säulen, die dort neben dem Bildnis der Wölfin mit Romulus und Remus stehen.
    Andronikos benahm sich besser als seine Peiniger. Ohne einen Klagelaut von sich zu geben, murmelte er nur: » Kyrie eleison, Kyrie eleison «, und fragte dann: »Warum zerbrecht ihr ein schon geknicktes Rohr?« Kopf unten hängend, wie er war, wurde er von dem wenigen entblößt, was er noch anhatte, einer trennte ihm mit einem einzigen Schwerthieb die Genitalien ab, ein anderer stieß ihm eine Lanze in den Schlund bis hinab in die Eingeweide, ein dritter trieb ihm am anderen Ende ein Schwert in den After. Es waren auch einige Lateiner da, die Krummsäbel hatten und sich wie Tänzer um ihn bewegten, während sie ihn mit Hieben traktierten, die ihm das Fleisch in Streifen absäbelten, und vielleicht waren sie die einzigen, die ein Recht auf Rache hatten, bedenkt man, was Andronikos ein paar Jahre zuvor ihren Landsleuten angetan hatte. Schließlich brachte der so Geschundene noch die Kraft auf, sich den rechten Arm an den Mund zu führen, als wolle er das Blut aus dem Stumpf trinken, zum Ersatz für jenes, das er in Strömen verlor. Dann starb er.
    Vor dem grässlichen Schauspiel geflohen, versuchten unsere Freunde, den Bukoleonpalast zu erreichen, aber schon als sie nur in seine Nähe kamen, mussten sie feststellen, dass es unmöglich war. Angewidert von den vielen Plünderungen, hatte Isaakios den Palast von seinen Wachen umstellen lassen, und jeder, der die Absperrung zu durchbrechen versuchte, wurde auf der Stelle hingerichtet.
    »Zosimos, du gehst trotzdem«, sagte Baudolino. »Es ist ganz einfach: Du gehst rein, holst die Karte und bringst sie uns.«
    »Und wenn sie mir die Kehle durchschneiden?«
    »Wenn du nicht gehst, schneiden wir sie dir durch.«
    »Mein Opfer hätte einen Sinn, wenn die Karte noch im Palast wäre. Aber, um die Wahrheit zu sagen, da ist sie nicht mehr.«
    Baudolino starrte ihn an, als könne er so viel Dreistigkeit gar nicht fassen. »Aha!« brüllte er auf. »Und jetzt sagst du uns endlich die Wahrheit? Und warum hast du uns bisher die ganze Zeit belogen?«
    »Um Zeit zu gewinnen. Zeit zu gewinnen ist keine Sünde. Für den vollkommenen Mönch ist es Sünde, sie zu verlieren.«
    »Am besten, wir bringen ihn gleich hier an Ort und Stelle um«, meldete sich der Poet zu Wort. »Es ist der richtige Augenblick, in dieser allgemeinen Schlächterei wird niemand darauf achten. Entscheiden wir, wer ihn erdrosseln soll, und dann nix wie

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