Die historischen Romane
schlecht ist, dann steht es auch schlecht für dein Leben.«
»Beruhige dich, beruhige dich. Da bei einer Darstellung des Tabernakels, so wie es ist, unsere Kunst nicht alles zu zeigen vermag, was von seinen Wänden und von dem Gebirge verdeckt wird, hat Kosmas noch eine andere Karte gezeichnet, die die Erde so zeigt, wie wir sie von oben sähen, wenn wir am Firmament flögen, oder wie vielleicht die Engel sie sehen. Diese Karte, die im Bukoleon aufbewahrt wird, zeigt die Lage der Länder, die wir kennen, eingerahmt vom Okeanos, und jenseits des Okeanos die Länder, in denen die Menschen vor der Sintflut lebten, die aber seit Noah niemand mehr gesehen hat.«
»Noch einmal, Zosimos«, sagte Baudolino und machte ein strenges Gesicht, »wenn du meinst, du kannst uns mit Dingen kommen, die du uns nicht sehen lässt ...«
»Aber diese Dinge, die sehe ich , als ob sie hier vor meinen Augen wären, und bald werdet auch ihr sie sehen.«
Mit seinem hageren, abgezehrten Gesicht, das durch die erbarmungswürdigen blauen Flecken und Blutergüsse noch leidender aussah, und seinen glühenden Augen, erleuchtet von Dingen, die nur er sah, wirkte Zosimos auch für diejenigen überzeugend, die ihm misstrauten. Dies war seine Stärke, erläuterte Baudolino Niketas, so habe er ihn schon einmal an der Nase herumgeführt, so habe er es auch diesmal getan, und so sei es ihm auch noch einige Jahre lang weiter gelungen. Er war so eifrig im Überzeugen und so in Fahrt, dass er sogar noch vorführen wollte, wie sich mit Hilfe von Kosmas' Tabernakel auch die Sonnenfinsternisse erklären ließen, aber die Sonnenfinsternisse interessierten Baudolino nicht. Was Baudolino überzeugte, war, dass man mit der richtigen Karte vielleicht tatsächlich auf die Suche nach dem Priester gehen konnte. »Also gut«, sagte er, »warten wir auf den Abend.«
Zosimos ließ einen seiner Eleven Gemüse und Obst auftischen, und als der Poet fragte, ob es nichts anderes gebe, antwortete er: »Ein karges Mahl, gleichförmig geregelt, führt den Mönch auf schnellstem Wege in den Hafen seiner Unverletzbarkeit.« Der Poet wünschte ihn zum Teufel, aber als er dann sah, dass Zosimos mit großem Appetit aß, schaute er unter dessen Gemüse nach und entdeckte, dass seine Spießgesellen dort nur für ihn ein paar schöne Stücke fettes Lammfleisch versteckt hatten. Ohne ein Wort zu sagen, wechselte er die Teller aus.
Sie richteten sich gerade darauf ein, den Tag mit Warten zu verbringen, als einer der Eleven ganz aufgeregt hereingestürzt kam und berichtete, was geschehen war. In der Nacht, sofort nach dem Ritus, sei Stephanos Hagiochristophorites mit einer Handvoll Bewaffneter zum Hause von Isaakios Angelos geeilt, das nahe beim Peribleptoskloster lag, habe laut nach seinem Feind gerufen und ihn aufgefordert herunterzukommen, und als das nichts half, habe er seine Leute angeschrien, sie sollten die Türe einschlagen, Isaakios am Bart packen und kopfüber die Treppe herunterzerren. Daraufhin beschloss Isaakios, so unentschlossen und ängstlich er allgemein galt, alles auf eine Karte zu setzen: Er sprang im Hof auf ein Pferd und preschte, das Schwert gezückt, fast unbekleidet, nur mit einem lächerlichen zweifarbigen Mäntelchen, das ihm kaum bis zu den Lenden reichte, überraschend hinaus. Der erschrockene Hagiochristophorites konnte sein Schwert nicht schnell genug ziehen, riss sein Maultier herum und versuchte zu fliehen, Isaakios setzte ihm nach und spaltete ihm mit einem einzigen Hieb den Schädel entzwei. Dann drehte er sich zu den Gefolgsleuten des nun zweiköpfigen Feindes um, schlug einem von ihnen ein Ohr ab und jagte die anderen in die Flucht.
Den Vertrauensmann des Kaisers zu töten war ein extremes Übel, das extreme Heilmittel erforderte. Isaakios bewies ein feines Gespür für die rechte Behandlung des Volkes: Er flüchtete sich in die Hagia Sophia, um das Mördern dort traditionell gewährte Asyl zu erbitten, stieg auf den für solche Zwecke errichteten Sockel und bat lauthals um Vergebung für seine Missetat. Er riss sich das wenige, was er trug, vom Leibe, raufte sich den Bart, hielt das noch blutige Schwert in die Höhe und erklärte, dass er in Notwehr gehandelt habe; zugleich rief er die Untaten des Getöteten in Erinnerung.
»Diese Geschichte gefällt mir nicht«, sagte Zosimos, bestürzt über den plötzlichen Tod seines sinistren Beschützers. Aber noch weniger konnten ihm die Nachrichten gefallen, die in den folgenden Stunden eintrafen.
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