Die historischen Romane
weg.«
»Einen Moment«, sagte Zosimos. »Der Herr lehrt uns, wie wir uns der Werke enthalten, die uns nicht frommen. Ich habe gelogen, das ist wahr, aber um ein Wohl zu erreichen.«
»Was denn für ein Wohl?« schrie Baudolino außer sich vor Wut.
»Meines«, antwortete Zosimos. »Ich hatte das Recht, mein Leben zu verteidigen, da ihr es mir nehmen wolltet. Der Mönch muss wie die Cherubim und die Seraphim überall Augen haben, oder – so verstehe ich diesen Spruch der heiligen Väter der Wüste – er muss dem Feind mit Umsicht und Schläue begegnen.«
»Aber der Feind, von dem deine Väter sprachen, das war der Teufel, nicht wir!« tobte Baudolino noch immer.
»Vielgestaltig sind die Listen der Dämonen: Sie erscheinen im Traum, sie erzeugen Halluzinationen, sie übertölpeln und täuschen uns, sie verwandeln sich in Engel des Lichts und verschonen uns, um uns eine trügerische Sicherheit vorzugaukeln. Was hättet ihr denn an meiner Stelle getan?«
»Und was wirst du jetzt tun, widerwärtiges Griechlein, um dein Leben noch einmal zu retten?«
»Ich werde euch die Wahrheit sagen, wie es bei mir üblich ist. Die Karte des Kosmas Indikopleustes existiert ohne Zweifel, ich habe sie mit diesen meinen Augen gesehen. Wo sie sich jetzt befindet, weiß ich nicht, aber ich schwöre euch, ich habe sie mit allen Einzelheiten hier in meinem Kopf ...« Er tippte sich an die von der Mähne befreite Stirn. »Ich könnte dir Tagereise für Tagereise die Entfernungen nennen, die uns vom Lande des Priesters Johannes trennen. Nun liegt es auf der Hand, dass ich in dieser Stadt nicht länger bleiben kann und dass auch ihr hier nicht länger verweilen müsst, denn ihr seid ja gekommen, um mich zu fassen, und mich habt ihr nun, und um diese Karte zu finden, und die habt ihr nicht. Wenn ihr mich umbringt, kriegt ihr sie nie. Wenn ihr mich mitnehmt, dann werde ich, das schwöre ich euch bei allen zwölf heiligen Aposteln, dann werde ich euer Sklave sein und meine Tage damit verbringen, euch einen Weg zu weisen, der euch direkt zum Lande des Priesters führt. Verschont ihr mein Leben, habt ihr nichts zu verlieren, nur einen Mund mehr zu füttern. Tötet ihr mich, verliert ihr alles. Entscheidet euch.«
»Dies ist doch der unverschämteste Kerl, der mir je im Leben begegnet ist«, sagte Boron, und die anderen stimmten ihm zu. Zosimos wartete schweigend, die Miene zerknirscht. Rabbi Solomon setzte an, etwas zu sagen: »Der Heilige immerdar sei gesegnet ...«, doch Baudolino ließ ihn nicht ausreden: »Schluss mit den Sprüchen, dieser Schlaufuchs hat schon genug davon zum besten gegeben. Er ist ein Schlaufuchs, aber er hat recht. Wir müssen ihn mitnehmen. Sonst kehren wir mit leeren Händen zu Friedrich zurück, und er denkt, wir hätten mit seinem Geld in den Wonnen des Orients geschwelgt. Kehren wir wenigstens mit einem Gefangenen zurück. Du aber, Zosimos, schwöre uns, dass du nie mehr versuchen wirst, uns noch einmal solch einen Streich zu spielen ...«
»Ich schwöre es bei allen zwölf heiligen Aposteln«, sagte Zosimos.
»Elf, elf, Unseliger!« rief Baudolino und packte ihn am Rock. »Wenn du zwölf sagst, rechnest du auch Judas dazu!«
»Also gut, elf.«
»Somit«, sagte Niketas, »war das deine erste Reise nach Byzanz. Nach allem, was du da gesehen hast, würde es mich nicht überraschen, wenn du jetzt das, was zur Zeit hier geschieht, als eine reinigende Ausräucherung betrachtest.«
»Ach, weißt du, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »mir haben die reinigenden Ausräucherungen, wie du sie nennst, nie recht gefallen. Alexandria mag ja ein elendes Kaff sein, aber bei uns, wenn da jemand das Sagen hat, der uns nicht gefällt, dann schicken wir ihn nach Hause und wählen uns einen anderen Konsul. Und auch Friedrich, er mochte ja manchmal jähzornig sein, aber wenn seine Vettern ihn ärgerten, dann ließ er sie nicht entmannen, sondern gab ihnen noch ein Herzogtum drauf. Aber das ist eine andere Geschichte. In meiner war ich nun schon an den äußersten Grenzen der Christenheit, ich hätte nur weiter nach Osten gehen müssen oder nach Süden und hätte die Länder Indiens gefunden. Aber inzwischen hatten wir unser Geld aufgebraucht, und um weiter nach Osten gehen zu können, musste ich erst einmal in den Westen zurück. Ich war mittlerweile dreiundvierzig Jahre alt, ich war dem Priester Johannes seit spätestens meinem sechzehnten Lebensjahr auf der Spur, und nun sah ich mich ein weiteres Mal gezwungen, meine
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