Die historischen Romane
zu küssen, den mystischen Geruch wahrnehmen, den sie ausströmt, und würde wissen, dass es sich um das echte Haupt handelt.«
In diesem Augenblick kam auch Pevere aus der Stadt zurück. Außergewöhnliches sei dort im Gange, berichtete er. Um zu verhindern, dass die leer ausgegangene Soldateska sich etwas vom Haufen in der Hagia Sophia nahm, hatte der Doge eine erste rasche Bestandsaufnahme der aufgehäuften Dinge angeordnet, und man hatte auch einige griechische Mönche hinzugezogen, um die verschiedenen Reliquien zu erkennen. Dabei war herausgekommen, dass, nachdem man den größten Teil der Pilger gezwungen hatte, ihre Beute herauszurücken, sich nicht nur zwei Johanneshäupter in der Kirche befanden, was man ja schon wusste, sondern auch zwei Schwämme für den Essig, zwei Dornenkronen und manches mehr. Ein Wunder, feixte Pevere und schielte zu Baudolino, die kostbarsten Reliquien von Byzanz hatten sich vervielfacht wie die Brote und Fische. Einige der Pilger sahen darin ein Zeichen des Himmels zu ihren Gunsten und riefen, wenn nun an diesen seltenen Gütern solch ein Überfluss herrsche, hätte der Doge erlauben müssen, dass jeder nach Hause trage, was er sich genommen habe.
»Aber es ist ein Wunder zu unseren Gunsten«, sagte Theophilos, »denn so werden die Lateiner nicht mehr wissen, welche Reliquien echt sind, und werden gezwungen sein, alles hierzulassen.«
»Da bin ich nicht so sicher«, sagte Baudolino. »Jeder Fürst oder Markgraf oder Vasall wird froh sein, sich eine Reliquie mit nach Hause zu nehmen, die Scharen von frommen Verehrern anlockt und Schenkungen nach sich zieht. Wenn dann gemunkelt wird, es gebe eine ganz ähnliche in tausend Meilen Entfernung, wird man sagen, die sei falsch.«
Niketas war nachdenklich geworden. »Ich glaube nicht an dieses Wunder«, sagte er. »Der Herr verwirrt unsere Sinne nicht mit den Überresten seiner Heiligen ... Baudolino, könnte es sein, dass du hier in letzter Zeit, seit du in die Stadt gekommen bist, irgendeinen Schwindel mit Reliquien angestellt hast?«
»Kyrios Niketas!« versuchte Baudolino in beleidigtem Ton zu sagen. Dann streckte er die Hände vor, wie um seinen Gesprächspartner zu beruhigen. »Nun, wenn ich dir denn die volle Wahrheit sagen soll ... tja, der Moment wird kommen, da ich dir auch eine Geschichte von Reliquien werde erzählen müssen. Aber das werde ich erst später tun. Und außerdem, hast du nicht selber vorhin gesagt, wenn man von heiligen Dingen spreche, dürfe man keine menschlichen Maßstäbe anlegen? Doch jetzt ist es spät geworden, ich denke, in einer Stunde, wenn es dunkel ist, können wir uns auf den Weg machen. Halten wir uns bereit.«
Niketas, der gut gestärkt aufbrechen wollte, hatte Theophilos schon vor einiger Zeit gebeten, ein Monòkythron zuzubereiten, was einige Zeit in Anspruch nahm. Es war ein bronzener Topf voller Rind- und Schweinefleisch, zum Teil noch mit den Knochen, und phrygischem Kohl, triefend von Fett. Da nicht mehr viel Zeit für ein ausgedehntes Mahl blieb, legte der Logothet seine guten Manieren ab und fasste nicht nur mit drei Fingern, sondern mit vollen Händen in den Topf. Es war, als genösse er seine letzte Liebesnacht mit der Stadt, die er gleichermaßen als Jungfrau, als Hure und als Märtyrerin liebte. Baudolino hatte keinen Hunger mehr und begnügte sich damit, in kleinen Schlucken geharzten Wein zu trinken, denn wer konnte wissen, ob es den auch in Selymbria geben würde.
Niketas fragte, ob in der angekündigten Reliquiengeschichte auch Zosimos vorkommen werde, aber Baudolino sagte, er ziehe es vor, der Reihe nach zu erzählen.
»Nach den grässlichen Dingen, die wir in der Stadt hier gesehen hatten, kehrten wir auf dem Landweg zurück, weil wir nicht mehr genug Geld hatten, um die Schiffsreise zu bezahlen. Das Durcheinander jener Tage hatte Zosimos erlaubt, mit Hilfe eines seiner Eleven – die er freilich zurückließ – irgendwo Maultiere aufzutreiben. Während der Reise gab es dann mal eine Jagdpartie in einem Wald, mal nahmen uns die Klöster am Wege gastlich auf, und so gelangten wir schließlich zurück nach Venedig und von da wieder in die lombardische Ebene ...«
»Und Zosimos hat nie zu fliehen versucht?«
»Er konnte nicht. Die ganze Zeit, seit wir ihn gefasst hatten, auch nach unserer Rückkehr, auch am Hofe Friedrichs und sogar auf der Reise nach Jerusalem, die wir dann machten, insgesamt vier Jahre lang, war er in Fesseln geblieben. Beziehungsweise wenn wir ihn in
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