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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einen Augenblick und sagte dann: »Wie ich erfahren habe, ist kürzlich einer Eurer Miniaturenmaler... verschwunden. Der Abt hat mir viel von seiner Kunst erzählt. Könnte ich wohl die Handschriften sehen, die er ausgeschmückt hat?«
    »Adelmus von Otranto«, antwortete Malachias und sah William misstrauisch an, »war noch jung und bemalte daher nur Ränder der Manuskripte. Er hatte eine sehr lebhafte Phantasie und vermochte aus Bekanntem Unbekanntes und Überraschendes zu komponieren, wie wenn man Menschenleiber mit Pferdeköpfen vereint. Aber seht selbst, hier sind seine Bücher. Niemand hat sie bisher angerührt.«
    Wir traten an den Tisch, an dem Adelmus gearbeitet hatte, und erblickten einen Stoß reich bemalter Bögen. Es waren Bögen aus feinstem Vellum, dem König der Pergamente, und der letzte war noch mit Klammern am Tisch befestigt. Gerade erst mit dem Bimsstein abgerieben, mit Kreide weich gemacht und mit dem Eisen geglättet, war er nur zur Hälfte mit Schrift bedeckt, doch der Maler hatte bereits begonnen, die Linien der Randfiguren mit winzigen Nadelstichen vorzuzeichnen. Die anderen Bögen waren indes schon fertig, und als wir ihrer ansichtig wurden, konnten weder William noch ich einen Ausruf der Bewunderung unterdrücken. Es handelte sich um einen Psalter, an dessen Rändern sich eine für unsere Sinne verkehrte Welt abzeichnete – als entfaltete sich an den Rändern eines Diskurses, der per definitionem Diskurs der Wahrheit ist, aufs Innigste mit ihm verbunden durch wundersame Rätsel und Anspielungen, ein lügnerischer Diskurs über ein Universum, das auf dem Kopf steht, so dass darin die Hunde vor den Hasen fliehen und die Hirsche den Löwen jagen. Kleine Köpfchen mit Vogelfüßen, Tiere mit Menschenhänden auf dem Rücken, haarige Häupter, aus denen Füße wuchsen, zebragestreifte Drachen, Vierbeiner mit Schlangenköpfen, die Hälse verschlungen zu tausend unentwirrbaren Knoten, Affen mit Bockshörnern, Sirenen mit Vogelleibern und Libellenflügeln auf dem Rücken, Menschen ohne Arme, denen andere Menschengestalten buckelförmig aus den Schultern wuchsen, Wesen mit Mäulern voller Zähne am Bauch, Menschenleiber mit Pferdeköpfen und Pferdeleiber mit Menschenbeinen, Fische mit Vogelschwingen und Vögel mit Fischschwänzen, Misswüchsige mit einem Leib und zwei Köpfen oder mit einem Kopf und zwei Leibern, Kühe mit Hahnenschwänzen und Schmetterlingsflügeln, Frauen mit Fischschuppen auf dem Kopf, zweiköpfige Chimären, verschlungen mit eidechsenköpfigen Wasserjungfern, Zentauren, Lindwürmer, Elefanten, Mantikoren mit drei Zahnreihen im Maul, einbeinige Scinopoden, die sich auf Baumästen wanden, Greife mit Schwänzen in Form von gerüsteten Bogenschützen, teuflische Kreaturen mit endlosen Hälsen und ähnliche Monster in großer Zahl. Auf dem unteren Rand einer Seite formten sich Gruppen von menschenförmigen Tieren oder tierförmigen Zwergen zu Szenen des ländlichen Lebens: Pflügende, Säende, Erntende, Beerensammler und Spinnerinnen waren gemalt mit einer Lebendigkeit, dass man meinen konnte, sie bewegten sich wirklich; daneben erstürmten armbrustbewehrte Füchse und Marder eine Stadt, auf deren Zinnen und Türmen Affen saßen. Hier krümmte sich ein großer Anfangsbuchstabe zu einem L und gebar aus seinem unteren Teil einen Drachen, dort kroch aus einem großen V, das den Anfang des Wortes Verba bildete, wie als natürliche Fortsetzung seines Rumpfes eine Schlange, aus welcher andere Schlangen hervorgingen, die sich in tausend Windungen zu Trauben und Dolden formten.
    Neben dem Psalter lag, gleichfalls offenbar erst vor Kurzem fertiggestellt, ein zierliches goldenes Büchlein, so unglaublich klein, dass man es in der Handfläche hätte halten können. Die Miniaturen an den Seiten der winzigen Schrift waren auf den ersten Blick kaum zu erkennen und verlangten Betrachtung aus nächster Nähe, um ihre ganze Schönheit zu offenbaren (und staunend fragte man sich, mit welchem übermenschlichen Werkzeug der Künstler sie gemalt haben mochte, um auf so engem Raum so lebendige Wirkungen zu erzielen). Von oben bis unten waren die Ränder bedeckt mit winzigen Figuren, die sich, gleichsam wie in natürlicher Expansion, aus den Enden und Abschlussbögen der kunstvoll geformten Lettern ergaben: fischschwänzige Sirenen, Chimären, fliehende Hirsche, armlose menschliche Torsi, die Würmern gleich aus den Enden der Verse wuchsen. An einer Stelle sah ich, gleichsam als Fortsetzung und Kommentar

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