Die historischen Romane
zu beschreiben vermochte. Doch es ging mir auch später in meinem Leben noch häufig so, dass ich die verführerischsten Schilderungen ausgerechnet in Texten jener höchst tugendsamen und standhaften Männer fand, die den Zauber ihrer verderblichen Wirkung am allerheftigsten brandmarkten. Was nur bezeugt, dass diese Männer von so großem Eifer für das Zeugnis der Wahrheit erfüllt sind, dass sie sich in ihrer Liebe zu Gott nicht scheuen, das Böse mit allen seinen verführerischen Reizen auszustatten, um die Menschen besser ins Bild zu setzen über die teuflische Art und Weise, wie es sie verzaubert. Und tatsächlich riefen die Worte des grimmen Jorge in mir eine große Lust hervor, die Tiger und Affen im Kreuzgang, den ich noch nicht bewundert hatte, zu betrachten. Aber Jorge unterbrach den Lauf meiner Gedanken, indem er von Neuem zu sprechen anhob, diesmal etwas ruhiger.
»Unser Herr Jesus Christus bedurfte nicht solcher Narreteien, um uns den rechten Weg zu zeigen. Nichts in seinen Gleichnissen reizt uns zum Lachen oder zum Schaudern. Adelmus jedoch, den ihr heute als Toten beklagt, hatte Gefallen an den Monstern, die er ersann, er genoss ihre Ungeheuerlichkeiten so sehr, dass er die letzten Dinge, deren materielle Figur sie doch sein sollten, aus den Augen verlor. Und er durchlief alle, ich sage alle«, und seine Stimme wurde aufs Neue ernst und drohend, »alle Wege der Schändlichkeit! Und dafür hat ihn Gott zu strafen gewusst.«
Ein lastendes Schweigen legte sich auf die Runde. Es war Venantius von Salvemec, der es zu durchbrechen wagte.
»Ehrwürdiger Jorge«, sagte er, »Eure Tugend macht Euch ungerecht. Zwei Tage bevor Adelmus starb, wart Ihr Zeuge eines gelehrten Disputes, der hier im Skriptorium stattfand. Adelmus legte großen Wert darauf, dass seine Kunst, trotz Darstellung wunderlicher und phantastischer Dinge, dem Ruhme Gottes diene als Mittel zur Erkenntnis der himmlischen Dinge. Bruder William hat vorhin die Lehre des Areopagiten über die Erkenntnis durch die Verzerrung erwähnt. Adelmus zitierte eine andere sehr große Autorität, nämlich den Doktor von Aquin, der gesagt hat, dass es richtig und gut sei, wenn die göttlichen Dinge mehr in Figuren gemeiner Körper dargestellt würden als in Figuren edler Körper. Erstens, weil menschliche Seele dann leichter vom Irrtum befreit werde, denn so sei es evident, dass gewisse Eigenschaften nicht den göttlichen Dingen zugeschrieben werden können, was zweifelhaft wäre, wenn diese mit Hilfe edler irdischer Körper dargestellt würden. Zweitens, weil besagte Darstellungsweise angemessener sei für die Kenntnis Gottes, die wir auf Erden haben, denn er offenbare sich mehr in dem, was er nicht ist, als in dem, was er ist, weshalb uns die Ähnlichkeiten derjenigen Dinge, die sich am Weitesten von Gott entfernen, zu einer exakteren Meinung über ihn führten, da wir nun wüssten, dass er über allem steht, was wir sagen und denken. Und drittens schließlich, weil durch diese Darstellungsweise die Dinge Gottes besser vor denen verborgen würden, die ihrer nicht würdig sind. Kurzum, es ging in jenem Disput darum, ob und wie man die Wahrheit durch überraschende Ausdrücke, treffende oder rätselhafte, zu erkennen vermag. Und ich wies darauf hin, dass sich auch im Werk des großen Aristoteles sehr klare Worte zu diesem Thema finden...«
»Ich erinnere mich nicht«, unterbrach ihn Jorge schroff. »Ich bin sehr alt. Ich erinnere mich nicht. Vielleicht bin ich allzu streng gewesen. Es ist spät geworden, ich muss gehen.«
»Ich wundere mich, dass Ihr Euch nicht erinnert«, beharrte Venantius. »Es war ein gelehrter und schöner Disput, in den auch Benno und Berengar eingriffen. Es ging um die Frage, ob die Metaphern und Rätsel und Wortspiele, die von den Dichtern anscheinend zum bloßen Vergnügen ersonnen werden, nicht zu neuen und überraschenden Spekulationen über die Dinge anregen können, und ich sagte, dass auch dies eine Tugend sei, die man vom Weisen verlange... Und auch Malachias...«
»Wenn der ehrwürdige Jorge sich nicht erinnern kann, so respektiere gefälligst sein Alter und die Ermüdung seines Geistes... der ansonsten sehr lebhaft ist«, warf einer der Mönche ein. Er hatte voller Erregung gesprochen, zumindest am Anfang, denn als er merkte, dass er, um zur Achtung vor dem Alter aufzurufen, de facto auf eine der Schwächen des Alters verwies, hatte er den Impetus seiner Worte rasch gezügelt, so dass sein Einwurf schließlich mit einer
Weitere Kostenlose Bücher