Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
und küsste den Spiegel dreimal. Dann neigte er das nun leblose, wächserne Antlitz im Licht der untergehenden Sonne über der Steinwüste.
    Die Alexandriner hoben ein Grab aus. Baudolino, der Poet, Boron und Kyot, die einen Freund beweinten, mit dem sie seit Jugendjahren alles geteilt hatten, ließen seine sterbliche Hülle in die Erde hinab, legten ihm das Instrument auf die Brust, das nie wieder den Lobpreis der fernen Prinzessin singen würde, und bedeckten sein Antlitz mit dem Spiegel der Gymnosophisten.
    Baudolino las den Schädel und den vergoldeten Schrein auf, dann ging er den Reisesack des toten Freundes holen, in dem er eine Pergamentrolle mit seinen Liedern fand. Er wollte gerade den Schädel des Täufers, den er wieder in seinen Schrein getan hatte, mit hineinpacken, da sagte er sich: »Wenn er ins Paradies kommt, was ich hoffe, braucht er ihn nicht, denn dort wird er dem echten Täufer begegnen, mit Kopf und allem. Und auf jeden Fall lässt man sich dort besser nicht mit einer Reliquie erwischen, die falscher nicht sein könnte. Diesen Kopf werde ich an mich nehmen, und wenn ich ihn eines Tages verkaufen kann, werde ich das Geld benutzen, um dem toten Freund wenn nicht ein Grab, so doch einen schönen Gedenkstein in einer christlichen Kirche errichten zu lassen.« Er schloss den Schrein, versiegelte ihn, so gut es ging, und tat ihn zu seinem eigenen in seinen Reisesack. Für einen Augenblick beschlich ihn der Verdacht, er sei gerade dabei, einen Toten zu bestehlen, aber er kam zu dem Schluss, dass er im Grunde nur etwas als Leihgabe nahm, was er in anderer Form zurückgeben würde. Dennoch zog er es vor, den anderen nichts davon zu sagen. Er packte alles übrige in Abduls Reisesack und legte ihn neben den Toten ins Grab.
    Sie füllten das Grab mit Erde und pflanzten anstelle eines Kreuzes das Schwert des Verstorbenen darauf. Baudolino, der Poet, Boron und Kyot knieten nieder, um ein Gebet zu verrichten, während Solomon etwas abseits einige bei den Juden übliche Litaneien sprach. Die anderen standen ein Stück weiter hinten. Der Boidi hob zu einer kleinen Rede an, aber dann begnügte er sich mit einem lang gezogenen »Hmm ...«.
    »Wenn man bedenkt, dass er vor kurzem noch da war«, murmelte der Porcelli.
    »Heut' sind wir hier und morgen dort«, sagte Aleramo Scaccabarozzi genannt il Ciula.
    »Wer weiß, wieso es gerade ihn treffen musste«, sagte der Cuttica.
    »Das ist eben Schicksal« schloss Colandrino, der, obwohl noch jung, schon sehr weise war.

 
    28. Kapitel
    Baudolino überquert den Sambatyon
     
    »Halleluja!« rief Niketas nach drei Tagen Reise. »Dort unten liegt Selymbria, das trophäengeschmückte!« Und mit Trophäen geschmückt war sie tatsächlich, die kleine Stadt mit den niedrigen Häusern und schmalen Gassen, die menschenleer vor ihnen lagen, denn – wie sie später erfuhren – die Einwohner feierten gerade den Tag nach dem Fest eines Heiligen oder Erzengels. Mit Girlanden geschmückt war auch eine hohe weiße Säule, die sich auf einem offenen Platz am Stadtrand erhob, und Niketas erklärte Baudolino, dass vor Jahrhunderten auf dieser Säule ein Eremit gelebt habe, der bis zu seinem Tod niemals heruntergekommen sei und dort oben zahlreiche Wunder vollbracht habe. Aber Menschen dieses Schlages gebe es heute nicht mehr, und vielleicht sei auch das einer der Gründe für das Unglück des Reiches.
    Sie begaben sich unverzüglich zum Haus jenes Freundes, auf den Niketas vertraute, und dieser Theophilattos, ein älterer Herr, gastfreundlich und jovial, empfing sie mit wahrhaft brüderlicher Liebe. Er ließ sich über ihr Unglück ins Bild setzen, beklagte mit ihnen das zerstörte Konstantinopel, zeigte ihnen das Haus, in dem es viele leere Zimmer für die ganze Gästeschar gab, und erquickte sie unverzüglich mit jungem Wein und einem üppigen Salat mit Oliven und Käse.
    »Bleibt ein paar Tage im Haus, ohne auszugehen«, empfahl er. »Hierher sind schon viele Flüchtlinge aus Konstantinopel gekommen, und die Leute hier sind noch nie besonders gut auf die aus der Hauptstadt zu sprechen gewesen. ›Jetzt kommt ihr daher und bettelt um Almosen, ihr, die ihr immer so große Töne gespuckt habt‹, sagen sie. Und ein Stück Brot lassen sie sich in Gold aufwiegen. Aber wenn es nur das wäre. Hierher sind seit einiger Zeit auch Lateiner gekommen. Sie haben sich von Anfang an sehr großspurig aufgeführt, wie also erst jetzt, seit sie wissen, dass Konstantinopel ihnen gehört und einer von

Weitere Kostenlose Bücher