Die historischen Romane
ihren Anführern der Basileus wird. Sie laufen in purpurgesäumten Gewändern herum, die sie unseren hohen Beamten weggenommen haben, sie setzen die aus den Kirchen geraubten Mitren ihren Pferden auf den Kopf, sie grölen unsere Hymnen in einem von ihnen erfundenen Griechisch, in das sie obszöne Wörter aus ihren Sprachen mischen, sie kochen ihre Speisen in unseren geweihten Gefäßen, und sie führen ihre Dirnen als große Damen umher. Früher oder später wird auch das vorübergehen, aber fürs erste habt ihr hier bei mir Ruhe vor ihnen.«
Baudolino und Niketas wünschten sich nichts lieber. In den nächsten Tagen erzählte Baudolino seine Geschichte unter Ölbäumen weiter. Sie saßen bei neuem Wein und Oliven und kosteten Oliven, Oliven und nochmals Oliven, um wieder neuen Durst auf Wein zu bekommen. Niketas war begierig zu hören, ob die Reisenden nun endlich zum Reich des Priesters Johannes gelangt waren.
Ja und nein, sagte Baudolino. Auf jeden Fall mussten sie zuvor noch den Sambatyon überqueren. Und dieses Abenteuer begann er sogleich zu erzählen. Und wie er zart und behutsam gewesen war, als er von Abduls Tod erzählt hatte, so war er nun episch und majestätisch, als er von dieser Flussüberquerung berichtete. Woran man sah, dachte Niketas ein weiteres Mal, dass Baudolino ein bisschen wie jenes seltsame Tier war, von dem er – Niketas – nur gehört, das Baudolino aber vielleicht auch gesehen hatte, nämlich das sogenannte Chamäleon, das ähnlich wie eine sehr kleine Ziege aussieht und je nachdem, wo es sich gerade befindet, seine Farbe wechselt, wobei es von Schwarz bis Zartgrün variieren und nur Weiß, die Farbe der Unschuld, nicht annehmen kann.
Traurig über den Tod ihres Gefährten, machten die Reisenden sich wieder auf und gelangten erneut in eine gebirgige Gegend. Beim weiteren Eindringen hörten sie erst ein fernes Rumoren, dann ein immer lauter und deutlicher werdendes Poltern und Prasseln, als stürzte eine Lawine aus Steinen und Felsbrocken von einem Gipfel und risse donnernd Geröll und Erdreich mit sich zu Tal. Dann gewahrten sie eine Staubwolke, ähnlich einem Dunst oder Nebel, aber im Unterschied zu einer feuchten Masse, die das Sonnenlicht getrübt hätte, glitzerten hier unzählige Reflexe, als brächen sich die Sonnenstrahlen in einem Gewimmel von mineralischen Atomen.
Als erster begriff Rabbi Solomon: »Das ist der Sambatyon!« rief er. »Also sind wir unserem Ziel nicht mehr fern!«
Es war tatsächlich der steinerne Fluss, und das wurde ihnen klar, als sie an sein Ufer gelangten, betäubt von dem brüllend lauten Getöse, in dem sie kaum ihr eigenes Wort verstanden, geschweige denn das der anderen. Es war ein majestätischer Strom von Steinen und Erdklumpen, die unaufhörlich vorbeizogen, und in dieser Flut konnte man große unförmige Brocken erkennen, unregelmäßige Platten, schneidend wie Klingen, breit wie Grabsteine, und dazwischen Kies, Fossile, Baumwipfel, Klippen und große Späne.
Mit gleichbleibender Geschwindigkeit, als würden sie von einem heftigen Wind getrieben, purzelten Kalksteinblöcke übereinander, große Schiefersplitter türmten sich darüber, um immer dann ihren Ansturm zu mildern, wenn sie auf träge Kiesfluten stießen, während runde Kiesel, glattpoliert wie von Wasser durch ihr Dahingleiten zwischen größeren Steinen, in die Luft sprangen, mit trockenem Klacken zurückfielen und von Strudeln erfasst wurden, die sie selbst durch ihr Aneinanderstoßen erzeugt hatten. Inmitten und über dieser Anhäufung von mineralischen Massen bildeten sich Fontänen von Sand, Böen von Gips, Wolken von Steinchen, Schaumkronen von Bimssand und Bäche von Mörtel.
Da und dort Spritzer von Alabasterglas oder Hagelschauer von Kohlen, und dann mussten die Reisenden sich das Gesicht bedecken, um nicht getroffen zu werden.
»Was für ein Tag ist heute?« schrie Baudolino zu seinen Gefährten. Und Solomon, der gewissenhaft jeden Sabbat verzeichnete, erinnerte daran, dass die Woche gerade erst begonnen hatte und es noch mindestens sechs Tage dauern würde, bis der Fluss das nächste Mal stillstehen würde. »Und wenn er dann stillsteht, kann man ihn nicht überqueren, ohne die Sabbatruhe zu verletzen«, schrie er verzweifelt. »Oh, warum hat der Herr, immerdar sei gesegnet der Heilige, in seiner Weisheit nicht gewollt, das dieser Fluss am Sonntag stillsteht, wo doch ihr Gojim so unfromm seid, dass ihr die Sonntagsruhe mit Füßen tretet!«
»Mach dir keine Gedanken
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