Die historischen Romane
vier rasenden Gegner nicht länger standhalten und hauchte mit einem grässlichen Röcheln ihr Leben aus. Aber es war sehr mühsam, ihre Kiefer zu öffnen und den armen Abdul aus ihrem Griff zu befreien.
Am Ende dieser Schlacht hatte der Cuttica einen verletzten Arm, aber Solomon verarztete ihn bereits mit einer Salbe aus seinen Beständen und sagte, er werde bald wieder wohlauf sein. Abdul hingegen wimmerte matt und verlor viel Blut. »Verbindet ihn«, sagte Baudolino, »so schwach, wie er war, darf er nicht auch noch bluten!« Sie versuchten alles mögliche, um den Blutstrom zu stillen, sie nahmen sogar ihre Kleider, um die Wunde zu verbinden, aber das Ungeheuer hatte die Zähne tief in den Leib gegraben, vielleicht bis zum Herzen.
Abdul phantasierte. Seine Prinzessin müsse ganz nahe sein, murmelte er, und er könne nicht ausgerechnet jetzt sterben. Sie sollten ihm auf die Beine helfen, bat er, und als sie es versuchten, mussten sie ihn festhalten, denn es war klar, dass die Bestie irgendein Gift in seine Adern gespritzt hatte.
Auf seine eigene Fälschung vertrauend, holte Ardzrouni aus Abduls Reisegepäck den Täuferkopf, zerbrach das Siegel, nahm den Schädel aus dem kopfförmigen Reliquiar und legte ihn Abdul in die Hände. »Bete«, sagte er, »bete für deine Genesung.«
»Blödmann«, fauchte der Poet, »erstens hört er dich nicht, und zweitens ist das der Kopf von wer weiß wem, den du dir aus einem entweihten Friedhof geholt hast.«
»Jede beliebige Reliquie kann den Geist eines Sterbenden neu beleben«, sagte Ardzrouni.
Am späten Nachmittag konnte Abdul nichts mehr sehen und fragte, ob sie wieder im Wald von Abkasia seien. Als klar war, dass es mit ihm zu Ende ging, entschloss sich Baudolino wieder einmal – wie gewöhnlich aus gutem Herzen – zu einer Lüge.
»Abdul«, sagte er, »jetzt bist du am Ziel deiner Wünsche. Du bist angekommen, wohin du immer gewollt hast, du musstest nur noch die Prüfung der Mantikore bestehen. Hier, sieh her, deine Herrin steht vor dir. Als sie von deiner unglücklichen Liebe erfuhr, ist sie herbeigeeilt von den Rändern des seligen Landes, in dem sie lebt, gerührt und hingerissen von deiner Ergebenheit.«
»Nein«, hauchte Abdul, »das ist nicht möglich. Sie kommt zu mir, und nicht ich zu ihr? Wie werde ich so viel Glück aushalten können? Sagt ihr, sie soll warten. Helft mir auf, ich bitte euch, dass ich ihr entgegengehen und ihr huldigen kann ...«
»Sei ruhig, mein Freund, wenn sie es so beschlossen hat, musst du dich ihrem Willen fügen. Hier, mach die Augen auf, sie beugt sich über dich.« Und während Abdul die Lider hob, hielt Baudolino seinem nun schon getrübten Blick den Spiegel der Gymnosophisten hin, in dem der Sterbende vielleicht die Umrisse eines ihm nicht unbekannten Antlitzes sah.
»O Herrin, ich sehe dich«, sagte er kaum hörbar, »zum ersten und letzten Mal. Ich hatte nicht geglaubt, diese Freude noch zu erleben. Aber ich fürchte, dass du mich liebst, und das könnte meine Leidenschaft stillen ... O nein, Prinzessin, das ist zu viel, warum beugst du dich nieder, um mich zu küssen?« Er näherte seine zitternden Lippen dem Spiegel. »Was empfinde ich jetzt? Leid über das Ende meiner Suche oder Freude über die unverhoffte Eroberung?«
»Ich liebe dich, Abdul, und das genügt«, hatte Baudolino das Herz, dem sterbenden Freund ins Ohr zu flüstern, und der lächelte. »Ja, du liebst mich, und das genügt. Habe ich das nicht immer gewollt, auch wenn ich den Gedanken daran verdrängte aus Angst, es könnte Wirklichkeit werden? Aber jetzt könnte ich mir nichts weiter wünschen. Wie schön du bist, meine Prinzessin, wie rot deine Lippen sind ...« Er ließ den falschen Täuferschädel auf den Boden rollen, griff mit zitternder Hand nach dem Spiegel und reckte ihm die Lippen entgegen, um die von seinem Atem beschlagene Oberfläche zu berühren. »Heute feiern wir einen fröhlichen Tod, den Tod meines Schmerzes. Oh, süße Herrin, du warst meine Sonne und mein Licht, wo du vorbeigingst, war Frühling, und im Mai warst du die Mondscheibe, die meine Nächte verzauberte.« Er besann sich für einen Augenblick und sagte zitternd: »Aber ist das vielleicht nur ein Traum?«
»Abdul«, flüsterte Baudolino im Gedenken an Verse, die er einmal von ihm gehört hatte, »was ist das Leben, wenn nicht der Schatten eines flüchtigen Traums?«
»Danke, meine Geliebte«, sagte Abdul. Er machte eine letzte Anstrengung, während Baudolino seinen Kopf hob,
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