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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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verfeindet?« fragte Baudolino.
    »Hier niemand Feind von niemand«, antwortete Gavagai. »Sieh doch, sie alle zusammen kaufe und verkaufe wie gute Christen. Dann alle zurück nach Hause, jeder in seins. Bleibe nicht zusammen zum Essen oder zum Schlafen. Jeder denke, wie will, auch wenn schlecht denke.«
    »Und die Giganten denken schlecht?«
    »Uh! Schlechter als schlimmste! Sie artotyritoi , Leute, die glaube, dass Jesus im Letzten Abendmahl Brot und Käse gewandelt, weil sage, so war normales Essen bei alten Patriarchen. Darum mache Kommunion mit Brot und Käse, und für sie Häretiker alle, die mache mit burq . Aber hier sowieso fast alle falsch denke außer Skiapoden.«
    »Du hast gesagt, dass es hier auch Eunuchen gibt. Denken die auch falsch?«
    »Ich lieber nix sage über Eunuchen, zu mächtig. Eunuchen nicht mit gewöhnlichen Leuten verkehre. Aber denke anders als ich.«
    »Aber abgesehen von ihrem Denken sind sie genauso wie du, vermute ich ...«
    »Wieso nicht, was denn bei mir anders als bei ihnen?«
    »Zum Teufel, du verflixter Großfuß!« platzte der Poet los. »Du gehst doch zu Frauen, oder?«
    »Zu Frauen Skiapode ja, die nicht schlecht denke.«
    »Und deinen Frauen steckst du dieses Dingens da rein, verdammt, wo hast du das überhaupt?«
    »Hier, hinterm Bein, wie alle.«
    »Also mal abgesehen davon, dass ich es nicht hinterm Bein habe – und grad eben haben wir ja Kerle gesehen, die es über dem Nabel haben –, wirst du doch wohl wenigstens wissen, dass die Eunuchen dieses Dingens da überhaupt nicht haben und nicht zu Frauen gehen?«
    »Vielleicht weil Eunuchen keine Lust auf Frauen. Vielleicht weil ich in Pndapetzim noch nie weibliche Eunuchen gesehen. Die Ärmsten, denk nur: vielleicht habe Lust, aber finde keine Eunuchin, schließlich kann ja nicht gehen zu Frauen von Blemmys oder Panothier, die schlecht denke ...«
    »Aber du hast doch bemerkt, dass die Giganten nur ein Auge haben?«
    »Ich auch nur eins. Schau, ich zumach dies Auge, bleib nur anderes.«
    »Haltet mich fest, ich könnt' ihn erwürgen!« schnaubte der Poet mit Schaum vor dem Mund.
    »Kurz und gut«, sagte Baudolino, »Blemmyer denken schlecht, Giganten denken schlecht, alle denken schlecht, nur Skiapoden nicht. Und was denkt dieser euer Diakon?«
    »Diakon nix denke. Diakon befehle.«
    Während sie sprachen, trat einer der Nubier plötzlich vor Colandrinos Pferd, kniete nieder, streckte die Arme vor, senkte den Kopf und sprach einige Worte in einer unbekannten Sprache, aber am Ton war zu hören, dass es sich um eine flehentliche Bitte handelte.
    »Was will er?« fragte Colandrino. Gavagai antwortete, der Nubier habe im Namen Gottes gebeten, ihm mit dem schönen Schwert, das er am Gürtel trage, den Kopf abzuschlagen.
    »Er will, dass ich ihn töte? Wieso?«
    Gavagai schien verlegen. »Nubier seltsame Leut. Du wisse, sie Circumcellionen. Gute Krieger nur, weil Martyrium wolle. Kaum irgendwo Krieg, gleich suche Martyrium. Nubier wie kleine Kinder, wolle immer sofort haben, was ihnen gefalle.« Er sagte etwas zu dem Nubier, und der ging gesenkten Hauptes davon. Auf die Frage, was es mit den Circumcellionen auf sich habe, sagte Gavagai nur, die Circumcellionen seien die Nubier. Dann wies er darauf hin, dass der Sonnenuntergang nahte und der Markt sich auflöste, dass es also Zeit sei, sich zum Turm zu begeben.
    Tatsächlich war die Menge dabei, sich zu zerstreuen, die Verkäufer packten ihre Sachen in große Körbe; aus den Öffnungen in den Felswänden kamen Seile herunter, und die Ware wurde hinaufgezogen. Es war ein geschäftiges Auf und Ab, und kurz darauf lag die ganze Stadt verlassen da. Einen Moment lang schien sie ein großer Friedhof mit unzähligen Grabnischen zu sein, aber schon begannen sich jene Tür- oder Fensteröffnungen eine nach der anderen zu erhellen, ein Zeichen, dass die Einwohner von Pndapetzim Kamine und Lampen anzündeten, um sich auf den Abend vorzubereiten. Dank irgendwelcher unsichtbaren Bohrlöcher kam der Rauch all dieser Feuer aus den Spitzen der Felskegel, und der inzwischen fahle Himmel wurde schraffiert von schwarzbraunen Federbüschen, die sich aufsteigend in den Wolken verloren.
    Unsere Freunde durchmaßen den Rest von Pndapetzim und gelangten zu einem offenen Platz, hinter welchem die Berge keinen erkennbaren Durchgang mehr ließen. Hier erhob sich, halb in den Berghang eingelassen, das einzige artifizielle Bauwerk der ganzen Stadt. Es war ein Turm beziehungsweise der vordere Teil eines runden

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