Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Stufenturms, unten breit und nach oben hin immer schmaler werdend, aber nicht wie eine aus immer kleineren Kuchen aufgeschichtete Torte, denn ein kontinuierlicher Umgang zog sich spiralförmig von Stufe zu Stufe hinauf, und man erriet, dass er auch im Innern des Felsens auf der Rückseite weiterging und sich also von der Basis bis zur Spitze um den Bau wand. Der Turm selbst bestand aus lauter hohen Doppeltoren mit Rundbögen, die sich aneinanderreihten, ohne mehr Platz zwischen sich zu lassen als für den Pfeiler, der ein Tor vom anderen trennte, und das Ganze sah aus wie ein Ungeheuer mit tausend Augen. Rabbi Solomon meinte, so müsse der Turm zu Babel gewesen sein, den der grausame Nimrod errichtet habe, um herauszufordern den Heiligen, der gesegnet sein solle immerdar.
    »Dies hier«, sagte Gavagai mit unverhohlenem Stolz, »dies iste Palast von Diakon Johannes. Ihr jetzt stehen bleibe und warte, weil Diakon wisse, dass ihr komme, und er euch vorbereite feierlichen Empfang. Ich jetzt gehe.«
    »Wo gehst du hin?«
    »Ich nix kann mit reingehen in Turm. Wenn ihr empfangen und bei Diakon gewesen, ich euch komme wieder holen. Ich euer Führer in Pndapetzim, ich euch nicht lasse allein. Obacht bei Eunuchen, der da junger Mann« – er deutete auf Colandrino –, »und Eunuchen Gefallen an Jugend. Ave, evcharistó, salám. « Er salutierte fast militärisch strammstehend auf seinem einen Fuß, machte kehrt und war einen Augenblick später schon weit in der Ferne.

 
    30. Kapitel
    Baudolino begegnet dem Diakon Johannes
     
    Als sie noch etwa fünfzig Schritte vom Turm entfernt waren, sahen sie einen Zug herauskommen. Vorneweg eine Abordnung Nubier, aber prächtiger angetan als die auf dem Markt: der Unterleib und die Beine in enganliegende weiße Tücher gewickelt, darüber ein Lendenschurz; der Oberkörper nackt, aber mit einem roten Schulterumhang und einem ledernen Halsband, an dem bunte Steine befestigt waren, nicht Edelsteine, sondern Kiesel wie vom Grund eines Flusses, aber angeordnet wie ein lebhaftes Mosaik; auf dem Kopf eine weiße Kapuze mit zahlreichen Schleifchen; an Armen, Handgelenken und Fingern Bänder und Ringe aus geflochtener Kordel. Die Männer in der ersten Reihe spielten Pfeifen und Trommeln, die in der zweiten trugen ihre riesigen Keulen auf der Schulter, die in der dritten hatten nur einen Bogen umgehängt.
    Danach kam ein Aufmarsch derer, die zweifellos die Eunuchen waren: in weite weiche Gewänder gehüllt, geschminkt wie Frauen und gekrönt mit Turbanen, hoch wie Kathedralen. Der in der Mitte trug ein Tablett mit Fladen. Am Ende, rechts und links begleitet von zwei Nubiern, die Fächer aus Pfauenfedern über seinem Kopf wedelten, kam der, welcher offenkundig der höchste Würdenträger dieses Aufmarsches war: auf dem Kopf ein Turban, hoch wie zwei Kathedralen, ein kompliziertes Gebilde aus seidenen Tüchern in verschiedenen Farben, an den Ohren Anhänger aus bunten Steinen, an den Armen Bänder mit schillernden Vogelfedern. Auch er trug ein langes Kleid, das bis zu den Füßen reichte, an der Hüfte jedoch mit einer handbreiten Schärpe aus blauer Seide zusammengehalten wurde, und auf der Brust ein Kreuz aus bemaltem Holz. Er war ein Mann in fortgeschrittenem Alter, die rotgeschminkten Lippen und die schwarzumrandeten Augen bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner schlaffen gelblichen Haut und ließen ein mächtiges, bei jedem Schritt wabbelndes Doppelkinn um so stärker hervortreten. Er hatte feiste Hände mit überlangen, rosa lackierten und messerscharf geschliffenen Fingernägeln.
    Der Zug hielt vor den Besuchern an, die Nubier stellten sich in zwei Reihen auf, indes die Eunuchen niederen Ranges vor den Gästen niederknieten und der mit dem Tablett sich verbeugte und die Fladen anbot. Baudolino und die Seinen wussten zuerst nicht recht, was sie tun sollten, dann stiegen sie ab, nahmen sich von den Fladen, kauten artig und verbeugten sich ihrerseits. Daraufhin trat endlich der Obereunuche vor, warf sich der Länge nach mit dem Gesicht nach unten auf den Boden, erhob sich dann wieder und sprach sie auf Griechisch an.
    »Seit der Geburt Unseres Herrn Jesus Christus erwarten wir eure Rückkehr, wenn ihr, woran ich nicht zweifle, diejenigen seid, für die wir euch halten, und es schmerzt mich zu hören, dass der zwölfte unter euch – doch ein erster unter allen Christen wie ihr – durch die erbarmungslose Natur vom Wege abgebracht worden ist. Während ich unsere Wachen anweise,

Weitere Kostenlose Bücher