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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ihn auch nicht sehen ließ, wer sich ihm näherte, außer im letzten Augenblick.«
    »Genau, das ist mir auch gleich aufgefallen. Stell dir vor, der Diakon, der nominale Herrscher jener Provinz, war vor indiskreten Blicken geschützt, aber zugleich konnte er ohne Vorankündigung von einem Besuch seiner Eunuchen überrascht werden. Er war ein Gefangener, der zwar nicht von seinen Wächtern beobachtet werden konnte, aber sie auch seinerseits nicht im Blick hatte.«
    »Diese Eunuchen waren noch gewiefter als unsere. Aber jetzt erzähl mir von dem Diakon.«
     
    Sie traten ein. Der runde Raum war unmöbliert, bis auf den Thron und einige Truhen ringsum. Der Thron stand in der Mitte, war aus dunklem Holz und hatte einen Baldachin. Auf dem Thron saß eine menschliche Gestalt, in ein dunkles Gewand gehüllt und mit einem Turban auf dem Kopf, das Gesicht unter einem Schleier verborgen. Die Füße steckten in dunklen Pantoffeln und die Hände in dunklen Handschuhen, so dass man nichts von den Zügen und Formen des Sitzenden sah.
    Zu beiden Seiten des Thrones, neben dem Diakon, kauerten weitere verhüllte Gestalten. Eine von ihnen reichte dem Diakon ab und zu eine Schale mit glimmenden Duftstoffen, damit er den Rauch einatme. Der Diakon wehrte ab, doch Praxeas drängte ihn durch ein Zeichen, scheinbar flehend, die Gabe anzunehmen, also musste es sich wohl um eine Medizin handeln.
    »Bleibt fünf Schritte vor dem Thron stehen, verbeugt euch und wartet, bevor ihr euren Gruß entbietet, bis Er euch dazu auffordert«, flüsterte Praxeas.
    »Warum ist er verschleiert?« fragte Baudolino.
    »Das fragt man nicht, es gefällt ihm so.«
    Sie taten, wie ihnen geheißen. Der Diakon hob eine Hand und sagte auf Griechisch: »Seit meiner Kindheit bin ich auf den Tag eurer Ankunft vorbereitet worden. Mein Logothet hat mir alles berichtet, und es wird mir eine Freude sein, euch beizustehen und als meine Gäste zu bewirten, solange ihr auf euren illustren Gefährten wartet. Ich habe auch euer unvergleichliches Geschenk erhalten. Es ist unverdient, um so mehr, als mir eine so heilige Reliquie von Gästen geschenkt wird, die selber nicht minder verehrungswürdig sind.«
    Seine Stimme war schwach wie die eines Leidenden, aber sie klang jugendlich. Baudolino erging sich in derart ehrfurchtsvollen Begrüßungen, dass niemand ihm später hätte vorwerfen können, sich hochtrabend mit der Würde gebrüstet zu haben, die ihm zugeschrieben wurde. Der Diakon bemerkte jedoch, dass so viel Demut ganz offenkundig die Heiligkeit seiner Gäste bezeuge, und dagegen war nichts zu machen.
    Sodann lud er sie ein, sich auf elf Kissen niederzulassen, die er in einem Halbkreis fünf Schritte vor dem Thron hatte bereitlegen lassen, bot ihnen burq mit süßen, leicht ranzig schmeckenden Teigkringeln an und sagte, er sei begierig, von ihnen als Leuten, die aus dem märchenhaften Okzident kamen, zu hören, ob es dort wirklich all die Wunder gebe, von denen er in so vielen Büchern gelesen habe. Zum Beispiel, ob es dort wirklich ein Land namens Enotria gebe, in dem der Baum wachse, der jenes Getränk ausscheide, welches Unser Herr Jesus in sein Blut verwandelt habe. Ob es wahr sei, dass dort das Brot nicht platt gedrückt und einen halben Finger dick sei, sondern jeden Morgen beim Hahnenschrei wundersam aufgehe und zur Form einer weichen Frucht mit knuspriger goldener Kruste gedeihe. Ob es wahr sei, dass man dort freistehende, außerhalb von Felsen gebaute Kirchen sehen könne, und ob der Palast des großen Priesters in Rom wirklich Decken und Balken aus duftendem Holz von der legendären Insel Zypern habe. Ob dieser Palast wirklich Tore aus blauem Stein und mit Hörnern der Hornviper habe, die verhinderten, dass der Eintretende Gift hineinbringe, und Fenster aus einem Stein, der das Licht durchlasse. Ob es wahr sei, dass in jener selben Stadt ein großes rundes Bauwerk stehe, in welchem die Christen heute Löwen verspeisten und an dessen Gewölbe zwei perfekte Imitationen der Sonne und des Mondes erschienen, groß wie in Wirklichkeit, die ihren Lauf am Himmel vollzögen, zwischen von Menschenhand gemachten Vögeln, die süßeste Melodien sängen. Ob es wahr sei, dass unter dem Boden, auch er aus durchsichtigem Stein, von selbst sich bewegende Fische aus klarem Stein schwömmen. Ob es wahr sei, dass man zu dem Bauwerk über eine Treppe gelange, an der sich auf der Höhe einer bestimmten Stufe ein Guckloch befinde, durch welches man alles sehen könne, was im Universum

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