Die historischen Romane
eingehüllt werden wird, nachdem man seinen Leib mit Öl und anderen wundertätigen Substanzen eingerieben hat, die seine Formen in das Leinen eindrücken.« Dann fügte er hinzu: »Ihr werdet hier lange bleiben, und ich bitte euch, mich hin und wieder zu besuchen. Ich liebe es, von den Wundern des Okzidents erzählt zu bekommen und auch Geschichten von den tausend Schlachten und Belagerungen zu hören, die dort, wie es heißt, das Leben lebenswert machen. Ich sehe Waffen an euren Gürteln, sehr viel schönere und stärkere, als sie bei uns gebräuchlich sind, und ich stelle mir vor, dass ihr selber Heere in die Schlacht geführt habt, wie es sich für Könige ziemt. Bei uns dagegen bereitet man sich seit unvordenklicher Zeit auf den Krieg vor, aber ich habe noch nie das Vergnügen gehabt, eine Armee in offener Feldschlacht zu befehligen.« Es war keine bloße Einladung, es war eine fast flehentliche Bitte, vorgetragen im Ton eines Jungen, dessen Phantasie sich über Büchern voll atemberaubender Abenteuer entzündet hatte.
»Bedenkt aber, dass Ihr Euch nicht zu sehr anstrengt, Herr«, sagte Praxeas sehr unterwürfig. »Jetzt ist es spät und Ihr seid müde. Besser, Ihr entlasst für heute Eure Besucher.« Der Diakon nickte, doch an der resignierten Geste, mit der er seinen Abschiedsgruß begleitete, erkannten Baudolino und die Seinen, wer wirklich an diesem Ort das Kommando hatte.
31. Kapitel
Baudolino wartet auf die Weiterreise
zum Reich des Priesters Johannes
Baudolino hatte zu lange erzählt, und Niketas war hungrig geworden. Theophilattos bat ihn zu Tisch und servierte Kaviar von verschiedenen Fischen, gefolgt von einer Suppe mit Zwiebeln und Öl und Oliven, die in einem Teller voller Brotkrümel serviert wurde, danach eine Sauce aus zerstampften Muscheln, angemacht mit Wein, Öl, Knoblauch, Zinnamom, Oregano und Senf. Nicht eben viel, nach Niketas' Maßstäben, aber er ließ es sich schmecken. Während die Frauen, die gesondert gegessen hatten, sich zum Schlafen rüsteten, begann er Baudolino wieder zu befragen und wollte wissen, ob sie nun endlich ins Reich des Priesters gelangt waren.
»Du hättest gern, dass ich schnell mache, Kyrios Niketas, aber wir sind zwei lange Jahre in Pndapetzim geblieben, und zuerst ist die Zeit immer gleich verlaufen. Von Zosimos hörten wir nichts, und Praxeas machte uns darauf aufmerksam, dass es, falls der zwölfte unserer Gruppe nicht käme, sinnlos wäre, uns ohne das angekündigte Geschenk für den Priester auf die Reise zu machen. Im übrigen brachte er uns jede Woche neue entmutigende Nachrichten: Die Regenzeit habe länger als üblich gedauert und der Sumpf sei noch unpassierbarer geworden, von den zum Priester gesandten Boten sei bisher keine Nachricht gekommen, vielleicht könnten sie den einzigen gangbaren Weg nicht mehr finden ... Dann kam die gute Jahreszeit, und es wurde gemunkelt, die Weißen Hunnen seien im Anmarsch, ein Nubier habe sie im Norden gesichtet, und man könne jetzt keine Männer opfern, um uns auf einer so schwierigen Reise zu begleiten, und so weiter. Da wir nicht wussten, was wir sonst tun sollten, lernten wir allmählich, uns in den verschiedenen Sprachen auszudrücken, die in Pndapetzim gesprochen wurden. So wussten wir zum Beispiel inzwischen: Wenn ein Pygmäe Hekinah degul ausrief, wollte er damit sagen, dass er zufrieden sei, und die Grußformel, die man mit ihm tauschte, hieß Lumus kelmin pesso desmar lon emposo , was so viel bedeutete wie, dass man sich verpflichtete, keinen Krieg gegen ihn und sein Volk zu führen. Wenn ein Gigant eine Frage mit Bodh-koom beantwortete, hieß das so viel wie »Ich weiß nicht«. Die Nubier nannten das Pferd nek , vielleicht in Analogie zu nekbrafpfar , ihrem Wort für Kamel, während die Blemmyer das Pferd houyhmhnm nannten, und dies war das einzige Mal, dass wir sie Laute aussprechen hörten, die nicht Vokale waren, was uns vermuten ließ, dass sie für ein nie zuvor gesehenes Tier einen nie zuvor gehörten Ausdruck erfanden. Die Skiapoden beteten mit den Worten Hai coba , was für sie »Vater unser« bedeutete, und sie nannten das Feuer deba , den Regenbogen deta und den Hund zita . Die Eunuchen priesen Gott während ihrer Messe, indem sie sangen: Khondinbas Ospamerostas, kamedumas karpanemphas, kapsimunas Kamerostas perisimbas prostamprostamas . Wir wurden mehr und mehr zu Einwohnern von Pndapetzim, so dass uns schließlich die Blemmyer oder Panothier gar nicht mehr so verschieden von uns
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