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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ich dabei, dass ich, wenn ich mich dieser neuen Aufgabe widmete, schneller vergessen würde, was ich im Wald zurückgelassen hatte. Zwei Tage lang wurde ich von tausend Pflichten in Anspruch genommen. Ich erfüllte sie jedoch nur zerstreut, denn mich quälte der Gedanke, Hypatia könnte an den See zurückgekehrt sein und, als sie mich nicht vorfand, gedacht haben, sie habe mich durch ihre Flucht beleidigt und ich wolle sie nicht mehr wiedersehen. Ich war bestürzt bei dem Gedanken, sie könnte bestürzt sein und mich nicht mehr sehen wollen. Wenn es so wäre, würde ich mich auf ihre Spur setzen, würde hoch zu Ross an dem Ort erscheinen, wo die Hypatien lebten, und ... Was würde ich tun, würde ich sie rauben, würde ich den Frieden jener Gemeinschaft zerstören, würde ich ihre Unschuld trüben, indem ich ihr zu verstehen gäbe, was sie nicht verstehen durfte? Oder würde ich sie, im Gegenteil, ergriffen von ihrer Mission sehen, nun frei von einem kurzen, winzigen Anflug irdischer Leidenschaft? Aber hatte es diesen Anflug wirklich gegeben? Ich vergegenwärtigte mir jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen. Zweimal hatte sie unsere Begegnung als Beispiel benutzt, um zu sagen, wie Gott war, aber vielleicht war das nur eine kindliche, ganz unschuldige Art gewesen, mir verständlich zu machen, was sie meinte. Zweimal hatte sie mich berührt, aber so, wie sie eine Sonnenblume berührt hätte. Mein Mund auf ihrer Hand hatte sie erzittern lassen, das wusste ich, aber das war ganz natürlich: Kein menschlicher Mund hatte sie jemals gestreift, es war für sie so gewesen, wie wenn sie im Wald über eine Wurzel gestolpert wäre und für einen Moment das Gleichgewicht verloren hätte; der Moment war vorübergegangen, sie dachte bestimmt nicht mehr daran ... Ich diskutierte mit meinen Freunden über Fragen der Kriegführung, ich musste entscheiden, wo die Nubier eingesetzt werden sollten, und ich wusste nicht einmal, wo ich selber stand. Ich musste diese Angst überwinden, ich musste es wissen. Um es in Erfahrung zu bringen, musste ich mein und ihr Leben in die Hände von jemand legen, der die Verbindung zwischen uns hielt. Ich hatte schon viele Beweise für die Ergebenheit von Gavagai bekommen. Ich sprach heimlich mit ihm, ließ ihn viele Eide schwören, sagte ihm sowenig wie möglich, aber genug, um ihn an den See zu schicken und dort auf sie warten zu lassen. Der gute Skiapode war wirklich hilfsbereit, verständnisvoll und diskret. Er fragte nur wenig, ich glaube, er hatte viel verstanden. An den ersten zwei Tagen kehrte er abends zurück und sagte, niemand sei da gewesen, und es betrübte ihn sehr, mich erblassen zu sehen. Am dritten Tag kam er mit seinem charakteristischen Lächeln, das wie eine Mondsichel aussah, und sagte mir, während er selig ausgestreckt im Schatten seines Fußes gelegen habe, sei jene Kreatur erschienen. Sie habe sich ihm vertrauensvoll und erleichtert genähert, als ob sie jemanden erwartet hätte. Sie habe meine Botschaft mit Erregung entgegengenommen (»Sie mir geschienen, sehr dringend dich sehen wolle«, sagte er mit einer gewissen Verschmitzheit), und sie ließe mir mitteilen, dass sie jeden Tag an den See gekommen sei, jeden Tag (»Sie zweimal gesagt«). Vielleicht erwarte ja auch sie seit langem die Magier, kommentierte er mit Unschuldsmiene. Am nächsten Tag musste ich noch in Pndapetzim bleiben, aber ich versah meine Pflichten als Heerführer mit einer Begeisterung, die den Poeten erstaunte, der mich als einen dem Waffendienst eher Abgeneigten kannte, die sich jedoch ansteckend auf meine Armee auswirkte. Ich kam mir vor wie der Herr der Welt, ich hätte es furchtlos mit hundert Weißen Hunnen aufgenommen. Zwei Tage später kehrte ich zitternd vor Angst zu jenem schicksalhaften Ort zurück.«

 
    34. Kapitel
    Baudolino entdeckt die wahre Liebe
     
    »In jenen Tagen des Wartens, Kyrios Niketas, war ich von gegensätzlichen Gefühlen beherrscht. Ich brannte vor Begierde, sie wiederzusehen, ich fürchtete, sie nie wiederzusehen, ich sah sie umstellt von tausend Gefahren, mit einem Wort, ich machte alle Gefühle durch, die zur Liebe gehören, nur nicht die Eifersucht.«
    »Hast du nicht daran gedacht, dass die Große Mutter sie gerade jetzt zu den Befruchtern schicken könnte?«
    »Ein solcher Zweifel ist mir nie gekommen. Vielleicht dachte ich, weil ich wusste, wie sehr ich inzwischen der ihre war, sie sei in solchem Grade die meine, dass sie es ablehnen würde, sich von anderen berühren zu

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