Die historischen Romane
verschlossen?« fragte William.
»Sobald die Diener das Refektorium und die Küche gereinigt haben, schließt Malachias eigenhändig beide Pforten und verriegelt sie von innen.«
»Von innen? Und wo geht er dann hinaus?«
Der Abt sah William streng ins Gesicht und schwieg. »Zweifellos schläft er nicht in der Küche«, sagte er schließlich schroff und beschleunigte seinen Schritt.
»Gut, gut!« flüsterte William mir zu. »Es gibt also noch einen anderen Eingang, und den sollen wir nicht kennen.« Ich grinste, stolz über diese treffliche Deduktion meines klugen Meisters, aber der schalt mich leise: »Lach nicht! Du hast doch gemerkt, in diesen Mauern hält man nicht sehr viel vom Lachen!«
Wir traten in den Chor. Nur ein einziger Leuchter brannte, hoch auf einem schweren bronzenen Dreifuß von doppelter Mannesgröße. Die Mönche begaben sich schweigend ins Chorgestühl, während der Vorleser aus einer Homilie des heiligen Gregor las.
Als alle versammelt waren, gab der Abt ein Zeichen, und der Cantor intonierte Tu autem Domine miserere nobis. Der Abt respondierte Adjutorium nostrum in nomine Domini, und alle sangen gemeinsam Qui fecit coelum et terram. Dann folgte das Psalmensingen: Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit; Danken will ich dir, Herr, von ganzem Herzen; Auf, lobet den Herrn, alle Knechte des Herrn!
William und ich hatten nicht im Chorgestühl Platz genommen, sondern uns in das Hauptschiff zurückgezogen. Dort sahen wir plötzlich Malachias aus dem Dunkel einer Seitenkapelle auftauchen.
»Merk dir die Stelle«, raunte William mir zu. »Vielleicht ist da ein Gang, der zum Aedificium führt.«
»Unter dem Friedhof hindurch?«
»Warum nicht? Es muss sogar, wenn man es recht bedenkt, irgendwo ein Ossarium geben, Katakomben oder dergleichen. Es kann doch unmöglich sein, dass alle Mönche, die in den Jahrhunderten hier gestorben sind, allein auf diesem kleinen Friedhof begraben wurden.«
»Ja wollt Ihr denn wirklich nachts in die Bibliothek eindringen?« fragte ich erschrocken.
»Wo die Geister verstorbener Mönche umgehen? Wo Schlangen und mysteriöse Irrlichter sind? Nein, lieber Adson. Ich hatte zwar heute Morgen daran gedacht, nicht aus Neugier, sondern weil ich mich fragte, wie Adelmus gestorben sein könnte. Aber jetzt, da ich zu einer logischeren Erklärung neige, will ich, wenn ich alles in allem bedenke, die Consuetudines dieser Abtei respektieren.«
»Warum wollt Ihr dann aber wissen, wie man in Bibliothek gelangt?«
»Weil die Wissenschaft, mein lieber Adson, nicht nur darin besteht, zu wissen, was man tun muss oder kann, sondern auch, was man tun könnte, aber lieber nicht tun sollte. Deswegen sagte ich vorhin zu unserem guten Glasermeister, dass der Wissende die Geheimnisse, die er aufdeckt, sorgsam hüten muss, damit nicht andere schlechten Gebrauch davon machen. Aber aufdecken muss er sie dennoch, und diese Bibliothek sieht mir ganz so aus, als ob die Geheimnisse dort eher zugedeckt blieben.«
Mit diesen Worten traten wir aus der Kirche, denn der Gottesdienst war zu Ende. Wir fühlten uns beide sehr müde und gingen in unsere Zellen. Ich rollte mich in meinen Winkel, den William scherzhaft meinen loculus nannte, und schlief sofort ein.
ZWEITER TAG
Zweiter Tag
METTE
Worin kurze Stunden mystischen Glücksgefühls unterbrochen werden von einem überaus blutrünstigen Ereignis.
S innbild und Wahrzeichen bald des lodernden Feuerteufels, bald des auferstandenen Christus, ist der Hahn das unzuverlässigste aller Tiere. Wir hatten in unseren Abteien sogar Exemplare, die zu träge waren, bei Sonnenaufgang zu krähen. Andererseits wird die Mette bei uns so früh gefeiert, dass es, zumal im Winter, noch tiefe Nacht ist und die ganze Natur noch schläft, denn die Mönche haben sich lange vor Tagesanbruch zu erheben und im Dunkeln zu beten, um in Erwartung des dämmernden Morgens die Finsternis zu erhellen mit der Glut ihrer frommen Andacht. Und so verlangt denn ein kluger Brauch unserer Klöster, dass einige Brüder am Abend nicht schlafen gehen, sondern die Nacht verbringen mit rhythmischer Rezitation einer vorgeschriebenen Anzahl von Psalmen, die so bemessen ist, dass sie ihnen die Stunden der Nacht anzeigt, dergestalt dass diese Fratres Vigilantes, wenn die Zeit gekommen ist, ihre Mitbrüder wecken können.
So wurden auch wir nun in jener Nacht von Mönchen geweckt, die mit einer Glocke durchs Dormitorium und durchs Pilgerhaus zogen, während einer von
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