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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schreckliche Wunde. Frisch und brandig zugleich, wies sie zwei breite rosige Ränder auf und in der Mitte, über die ganze Länge des Schnittes, eine eiternde Seele, die Quark auszuscheiden schien. Und Roberto begriff, dass die Wunde sich deshalb so präsentierte, weil die Hand eines Wundarztes, anstatt ihre Ränder zu vernähen, dafür gesorgt hatte, dass sie offen und klaffend blieben, indem er sie an die Haut genäht hatte.
    Ein Bastard der medizinischen Kunst, war diese Wunde also nicht nur geschlagen, sondern erbarmungslos so behandelt worden, dass sie nicht verheilen konnte und der Hund weiter an ihr litt – wer weiß, seit wann. Und damit nicht genug, Roberto entdeckte auch rings um die Wunde und in ihr Spuren einer kristallinen Substanz, als hätte ein Arzt (was für ein grausam geschickter Arzt!) jeden Tag ein Reizsalz hineingestreut.
    Ohnmächtig streichelte Roberto das arme Tier, das jetzt leise wimmerte. Er überlegte, wie er ihm Erleichterung verschaffen könnte, aber als er es etwas fester anfasste, zuckte es wieder zusammen. Außerdem wurde sein Mitleid allmählich von einem Siegesgefühl überlagert. Kein Zweifel, dies war das Geheimnis des Doktor Byrd, die mysteriöse Ladung, die in London an Bord genommen worden war.
    Aus dem, was Roberto gesehen hatte, war es für einen mit seinem Wissen nicht schwer zu schließen, dass der Hund in England verletzt worden war und dass Byrd seither dafür sorgte, dass die Wunde offenblieb. Jemand in London stellte jeden Tag zur selben Zeit irgendetwas mit der Klinge an, mit der die Wunde geschlagen, oder mit einem Tuch, das mit dem Blut aus der Wunde getränkt worden war, um bei dem Tier eine Reaktion hervorzurufen – vielleicht ein Gefühl der Erleichterung, vielleicht auch einen noch größeren Schmerz, denn Doktor Byrd hatte ja gesagt, dass man mit der Waffensalbe auch wehtun könne.
    Auf diese Weise konnte man dann auf der Amarilli zu einem gegebenen Zeitpunkt wissen, wie spät es zur selben Zeit in London war. Und durch den Vergleich mit der Ortszeit konnte man den Meridian berechnen!
    Blieb nur noch, den Tatsachenbeweis zu erbringen. In jenen Tagen verschwand Byrd immer gegen elf Uhr abends; die Amarilli näherte sich also dem Meridian der Antipoden, dem Antimeridian. Roberto würde den Doktor, versteckt in der Nähe des Hundes, um diese Zeit erwarten.
    Er hatte Glück, wenn man von Glück sprechen kann bei einem aufziehenden Sturm, der das Schiff und alle, die sich darin befanden, zum äußersten Unglück treiben sollte. Am Nachmittag war das Meer schon sehr bewegt gewesen, was Roberto Gelegenheit gab, über Seekrankheit und Magengrimmen zu klagen und sich ins Bett zu flüchten, ohne am Abendessen teilzunehmen. Bei Einbruch der Dunkelheit, als noch niemand daran dachte, auf Wache zu gehen, stieg er heimlich in den Kielraum hinunter, bewaffnet mit einem Feuerstahl und einer geteerten Schnur, um sich den Weg zu beleuchten. Er erreichte den Hund und fand über dessen Kiste eine erhöhte Fläche, auf der Strohballen gestapelt waren, die zur Erneuerung der verbrauchten Schlaflager der Passagiere dienten. Dort kroch er hinein und grub sich eine Nische, aus der er zwar den Hund nicht mehr sehen konnte, wohl aber zu erkennen vermochte, wer vor ihm stand, und mit Sicherheit jedes Wort hören würde.
    Er musste eine lange Stunde warten, die durch das Winseln des gequälten Tiers noch länger wurde, aber schließlich hörte er andere Geräusche und sah Lichter nahen.
    Kurz darauf wurde er Zeuge eines Experiments, das wenige Schritte vor ihm stattfand, durchgeführt von Doktor Byrd und seinen drei Assistenten.
    »Du schreibst mit, Cavendish?«
    »Aye aye, Doktor.«
    »Also warten wir. Er jammert heute zu sehr.«
    »Er hört das Meer.«
    »Brav, brav, Hakluyt«, sagte der Doktor, während er den Hund mit einem heuchlerischen Streicheln beruhigte. »Wir haben es leider versäumt, eine feste Abfolge der Aktionen zu fixieren. Es müsste immer mit der Linderung beginnen.«
    »Nicht unbedingt, Doktor, manchmal schläft er, wenn es so weit ist, und dann muss man ihn mit einer aufreizenden Aktion wecken.«
    »Achtung, mir scheint, er regt sich ... Brav, Hakluyt ... Ja, ja, er regt sich!« Der Hund gab jetzt ein unnatürlich jieperndes Jaulen von sich. »Sie halten die Klinge ans Feuer. Schreib die Uhrzeit auf, Withrington!«
    »Hier ist es etwa halb zwölf.«
    »Kontrolliert die Uhren. Jetzt müssten etwa zehn Minuten vergehen.«
    Der Hund jaulte weiter, es schien gar nicht

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