Die historischen Romane
damit die Widerstände des Pontifex nicht überwunden. Er wusste, dass seine Legaten, einmal auf dem Gebiet der Abtei, der Jurisdiktion des Abtes unterstehen würden, und da er auch Mitglieder des säkularen Klerus zu entsenden gedachte, akzeptierte er diese Bedingung nicht, wobei er Furcht vor einer Falle der Kaiserlichen vorschützte. Statt dessen stellte er seinerseits die Bedingung, dass die Sicherheit seiner Legaten von einer Abteilung bewaffneter Bogenschützen des Königs von Frankreich unter dem Kommando einer Person seines Vertrauens gewährleistet sein müsse. Davon hatte ich William mit einem Botschafter des Papstes in Bobbio reden hören. Soweit ich begriff, ging es bei ihrer Verhandlung um die Definition der Rechte und Pflichten dieser Abteilung, beziehungsweise um die Frage, was unter dem Schutz der Sicherheit der päpstlichen Legation zu verstehen sei. Man hatte sich schließlich auf eine Formel geeinigt, die von den Avignonesern vorgeschlagen worden war und allseits vernünftig erschien: Die Bewaffneten und ihr Kommandant sollten Jurisdiktion über alle jene Personen haben, »die in irgendeiner Weise versuchten, Anschläge auf das Leben der Mitglieder der pontifikalen Legation zu verüben oder deren Verhalten und Urteil durch gewaltsame Akte zu beeinflussen«. Damals erschien das Abkommen als eine reine Formsache, geboren aus formaljuristischem Geiste. Nun aber, nach den jüngsten Vorfällen hier in der Abtei, war der Abt sehr beunruhigt und legte William seine Besorgnis dar: Wenn es bis zum Eintreffen der päpstlichen Legation nicht gelungen sein sollte, den Urheber der beiden hier geschehenen Verbrechen zu finden (am nächsten Tag sollte der Abt noch besorgter sein, hatte er es dann doch bereits mit drei Verbrechen zu tun...), so werde man wohl oder übel zugeben müssen, dass hier jemand umging, der durchaus in der Lage war, das Verhalten und Urteil der pontifikalen Legation durch gewaltsame Akte zu beeinflussen.
Gar nichts würde es bringen, die geschehenen Verbrechen etwa verschweigen zu wollen, denn sollte womöglich ein weiteres geschehen, so würden die pontifikalen Legaten sicherlich meinen, es handele sich um einen Anschlag gegen sie. Folglich gab es nur zwei Lösungen: Entweder fand William den Mörder, bevor die Legation eintraf (und bei diesen Worten sah der Abt meinem Herrn streng ins Gesicht, als wollte er ihn stillschweigend dafür tadeln, dass er den Mörder noch nicht gefunden hatte), oder man musste den Vertreter des Papstes loyal über das Geschehene informieren und offiziell um Unterstützung bitten, damit er die Abtei für die Dauer der Verhandlungen unter strenge Bewachung stellen ließ. Das aber missfiel dem Abt sehr, würde es doch bedeuten, dass er auf einen Teil seiner Souveränität verzichten und seine Mönche unter die Kontrolle der Franzosen stellen müsste. Andererseits durfte man aber auch nichts riskieren. William und er waren beide nicht sonderlich angetan von dieser Aussicht, doch sie hatten kaum eine andere Wahl. So kamen sie überein, am Abend des folgenden Tages eine endgültige Entscheidung zu treffen. Bis dahin blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich der Barmherzigkeit Gottes und dem Scharfsinn Williams anzuvertrauen.
»Ich werde mein Möglichstes tun«, versicherte William. »Auf der anderen Seite sehe ich aber nicht recht, inwiefern diese Sache das Treffen ernsthaft kompromittieren könnte. Auch der Vertreter des Papstes wird doch schließlich begreifen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Treiben eines Verrückten oder Blutgierigen – oder auch nur einer verirrten Seele – und den ernsten Problemen, die nüchterne Männer hier zu erörtern haben.«
»Meint Ihr?« fragte der Abt und sah William fest in die Augen. »Vergesst nicht, dass die Avignoneser sich bewusst sind, hier Minoriten zu treffen, also gefährliche Leute, die den Fratizellen nahestehen und anderen, noch verbohrteren als den Fratizellen, blutrünstigen Ketzern, die sich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht haben« – der Abt senkte die Stimme – »Verbrechen, mit denen verglichen die hier geschehenen Missetaten wie Nebelschwaden vor der Sonne verblassen!«
»Das kann man doch nicht in einem Atemzug nennen!« rief William lebhaft aus. »Ihr könnt doch nicht ernsthaft Minoriten des Kapitels zu Perugia auf ein und dieselbe Stufe stellen mit einer Bande von Häretikern, die in falschem Verständnis der Botschaft des Evangeliums den Kampf gegen die Reichtümer dieser Welt
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