Die historischen Romane
Verbrechen begangen haben, die man ihnen zur Last legt. Ich weiß, dass sie die Ehe ablehnen und die Hölle verneinen. Und ich frage mich, ob viele Taten, die sie nicht begangen haben, ihnen womöglich nur aufgrund ihrer (gewiss verwerflichen) Ideen zur Last gelegt worden sind.«
»Wollt Ihr mir sagen, dass die Katharer sich nicht mit den Patarenern vermischt haben, dass sie nicht beide nur zwei der zahllosen Erscheinungsformen des Bösen sind?«
»Ich sage, dass viele dieser Häresien, unabhängig von ihren Lehren, Anklang unter den einfachen Leuten finden, weil sie ihnen die Möglichkeit eines anderen Lebens nahelegen. Ich sage, dass die einfachen Leute oft nicht viel von der Lehre verstehen. Ich sage, dass es nicht selten geschehen ist, dass Massen von einfachen Leuten die Predigt der Katharer mit der Predigt der Patarener verwechselt haben und diese ganz allgemein mit der Predigt der Spiritualen. Das Leben der einfachen Leute, verehrter Abbo, ist nicht von Weisheit erleuchtet und von jenem wachen Sinn für Unterschiede, der unsere Vernunft ausmacht. Es ist durchzogen von Krankheit, Armut und Unwissenheit, nie haben sie gelernt, sich anders als stammelnd auszudrücken. Oft ist das Mitlaufen in einer Ketzergruppe für viele von ihnen nur eine Art, die eigene Verzweiflung hinauszuschreien. Man kann das Haus eines Kardinals aus verschiedenen Gründen anzünden, sei’s weil man die Lebensformen des Klerus verbessern will, sei’s weil man meint, dass die von ihm gepredigte Hölle nicht existiert. Stets aber tut man es, weil eine irdische Hölle existiert, in welcher die Herde lebt, deren Hirten wir sind. Doch wie die einfachen Leute nicht unterscheiden zwischen bulgarischer Kirche und den Anhängern des Priesters Liprandus, so haben, Ihr wisst es genau, die kaiserlichen Behörden und ihre Vertreter oft nicht zwischen Spiritualen und Häretikern unterschieden. Nicht selten haben ghibellinische Gruppen, um ihre guelfischen Gegner zu schlagen, im Volk katharische Neigungen unterstützt. Ich fand das nicht gut. Aber heute weiß ich, dass dieselben Gruppen, um sich dieser unruhig und gefährlich gewordenen allzu ›einfachen‹ Hilfstruppen dann wieder zu entledigen, oftmals den einen die Häresien der anderen vorwarfen und sie schließlich allesamt auf den Scheiterhaufen schickten. Ich schwöre Euch, Abbo, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Männer von tugendhafter Lebensführung, ehrliche Anhänger der Armut und Keuschheit, aber Gegner der Bischöfe, von diesen Bischöfen kaltblütig dem weltlichen Arm überantwortet wurden, mochte er nun im Dienst des Reiches oder in dem der freien Städte stehen, wobei ihnen sexuelle Promiskuität und Sodomie und ähnliche schamlose Praktiken unterstellt wurden – derer sich vielleicht andere, nicht aber diese schuldig gemacht hatten! Das einfache Volk war immer nur Schlachtvieh und Werkzeug, man bediente sich seiner, um die gegnerische Macht zu erschüttern, und man warf es fort, wenn man es nicht mehr brauchte.«
»Waren demnach«, fragte der Abt maliziös, »Fra Dolcino und seine Besessenen oder Gerhardus Segarelli mit seinen Mordbrennern irregeleitete Katharer oder tugendhafte Fratizellen, sodomitische Bogomilen oder reformatorische Patarener? Sagt mir doch bitte, Bruder William, Ihr, die Ihr alles über die Ketzer wisst, so dass, man fast meinen möchte, Ihr wäret selber einer: Wo liegt die Wahrheit?«
»Manchmal nirgendwo«, antwortete William traurig.
»Seht Ihr, auch Ihr wisst nicht mehr zwischen Ketzern und Ketzern zu unterscheiden! Ich habe da wenigstens eine Regel. Ich weiß, dass alle diejenigen Ketzer sind, welche die Ordnung, in der das Gottesvolk lebt, auf den Kopf stellen. Und ich verteidige das Reich, weil es mir diese Ordnung garantiert. Den Papst bekämpfe ich, weil er im Begriff ist, die geistliche Macht den Stadtbischöfen zu übertragen, die sich mit den Kaufleuten und Zünften verbünden und diese Ordnung nicht mehr zu wahren vermögen. Wir haben sie jahrhundertelang gewahrt. Und was schließlich den Umgang mit Ketzern betrifft, so habe ich dafür auch eine Regel. Sie lässt sich resümieren in der Antwort des Abtes von Citeaux, Arnaldus Amalric, auf die Frage, was mit den Bürgern von Béziers geschehen sollte, als man die Stadt der Häresie verdächtigte. Arnaldus sagte: Tötet sie alle, der Herr wird die Seinen erkennen.«
William senkte die Augen und blieb eine Zeitlang stumm. Dann sagte er leise: »Die Stadt Béziers wurde eingenommen, und die
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