Die historischen Romane
aufnehmen, müssen sie wirklich ein höchst exklusiver Club sein. Also sind nun alle zu allem bereit, um aufgenommen zu werden. Alle sind bereit zu sagen, dass die Rosenkreuzer existieren, alle zu bekennen, dass sie nie einen gesehen haben, alle an sie zu schreiben, wie um ein Rendezvous zu fixieren oder um eine Audienz zu bitten, niemand erdreistet sich zu sagen, er sei kontaktiert worden, einige sagen, dass der Orden nicht existiert, weil sie nicht kontaktiert worden sind, andere sagen, er existiere gerade, um kontaktiert zu werden.«
»Und die Rosenkreuzer bleiben stumm.«
»Wie die Fische.«
»Mach den Mund auf. Kriegst noch 'ne Mamaya.«
»Mmmm ... Unterdessen beginnt der Dreißigjährige Krieg, und Johann Valentin Andreae verfasst eine Schrift namens Turris Babel , um zu verkünden, dass binnen Jahresfrist der Antichrist besiegt sein werde, und ein gewisser Irenäus Agnostus schreibt ein Tintinnabulumsophorum ... «
»Hübscher Titel, tintin.«
» ... wobei ich nicht ganz kapiere, was er darin sagt, aber sicher ist, dass dann Tommaso Campanella oder wer immer für ihn in der deutschen Ausgabe seiner Monarchia Hispanica interveniert und die ganze Rosenkreuzergeschichte zu einem Divertissement perverser Hirne erklärt ... Und danach ist Schluss, zwischen 1621 und 1623 schweigen alle.«
»Einfach so?«
»Einfach so. Sind wohl müde geworden. Wie die Beatles. Allerdings nur in Deutschland. Denn die Sache sieht aus wie die Geschichte einer Giftwolke. Sie verlagert sich nach Frankreich. Eines schönen Morgens im Jahre 1623 erscheinen an den Mauern in Paris Plakate einer »Confraternité de la Rose-Croix«, die den braven Bürgern mitteilen, dass die Deputierten des Hauptkollegiums der Brüderschaft sich dorthin transferiert hätten und bereit seien, Mitglieder aufzunehmen. Doch einer anderen Version zufolge sagen die Plakate klar und deutlich, dass es sich um sechsunddreißig Unsichtbare handle, die in Sechsergruppen durch die Welt verstreut seien und die Macht hätten, ihre Adepten unsichtbar zu machen ... Tzz tzz, schon wieder die Sechsunddreißig ... «
»Wer?«
»Die aus meinem Templerdokument.«
»Phantasielose Leute. Und dann?«
»Und dann kommt es zu einem kollektiven Wahn. Die einen verteidigen sie, die anderen wollen sie kennenlernen, wieder andere behaupten, sie betrieben Satanismus, Alchimie, Häresie mit dem Teufel Astarotte, der eingreife, um sie reich und mächtig zu machen, und fähig, sich im Fluge von einem Ort zum anderen zu begeben ... Mit einem Wort: der Skandal des Tages.«
»Raffiniert, diese Rosenkreuzer. Nichts ist so gut wie eine Lancierung in Paris, um in Mode zu kommen.«
»Scheint, dass du recht hast, denn hör zu, was passiert – mein Gott, was für eine Epoche! Descartes höchstpersönlich war in den Jahren zuvor in Deutschland gewesen und hatte nach ihnen gesucht, aber sein Biograph sagt, er hätte sie nicht gefunden – na ja, sie liefen ja auch unter falschen Namen herum. Als er nach Paris zurückkommt, nach dem Auftauchen der Plakate, erfährt er, dass alle ihn für einen Rosenkreuzer halten. Bei der herrschenden Stimmung war das keine gute Empfehlung und missfiel auch seinem Freund Mersenne, der bereits aus vollen Rohren gegen die Rosenkreuzer tönte und sie als Betrüger, Umstürzler, Zauberer, Kabbalisten und Brunnenvergifter traktierte. Was also macht der gute Descartes? Er lässt sich überall sehen, wo er nur kann. Und da alle ihn sehen und es nicht zu leugnen ist, kann er kein Unsichtbarer sein, und ergo ist er kein Rosenkreuzer.«
»Das nennt man Methode.«
»Natürlich war's mit dem Abstreiten nicht getan. Denn so wie die Dinge inzwischen lagen, wenn einer daherkam und sagte, guten Tag, ich bin ein Rosenkreuzer, dann bedeutete das, dass er keiner war. Ein Rosenkreuzer, der auf sich hält, sagt nicht, dass er einer ist. Im Gegenteil, er streitet es lauthals ab.«
»Aber man kann doch nicht sagen, wer sagt, er wäre kein Rosenkreuzer, ist einer. Denn auch ich sage dir, dass ich keiner bin, und deswegen kannst du noch lange nicht sagen, ich wäre einer.«
»Aber es abzustreiten ist schon verdächtig.«
»Nein. Denn was macht ein Rosenkreuzer, wenn er kapiert, dass die Leute dem, der sagt, dass er einer ist, nicht glauben, und den, der sagt, dass er keiner ist, verdächtigen? Er fängt an zu sagen, dass er einer ist, um sie glauben zu machen, er wäre keiner.«
»Du sagst es. Also müssten von jetzt an alle, die sagen, sie wären Rosenkreuzer, lügen und
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