Die historischen Romane
Observatorium. Was er Dummheit nannte, der unangreifbare Paralogismus, der hinterlistige Wahn, verkleidet als makellose Argumentation, das faszinierte ihn – und er wiederholte immerzu, dass es ihn faszinierte. Aber auch das war nur eine Maske. Wer aus Spiellust mitgemacht hatte, war Diotallevi gewesen, vielleicht in der Hoffnung, dass sich ihm eines Tages in einem Buch von Manuzio eine unerhört neue Kombination der Torah offenbaren würde. Und aus Jux, zum puren Vergnügen, aus Spottlust und Neugier hatte ich bei dem Spiel mitgemacht, besonders nachdem Garamond das Hermes-Projekt lanciert hatte.
Für Belbo lag die Sache anders. Das ist mir jedoch erst jetzt klar geworden, nachdem ich in seinen files gekramt habe.
Filename: Rache furchtbare Rache
Sie kommt einfach so. Auch wenn Leute im Büro sind: packt mich am Rockkragen, streckt das Gesicht vor und küsst mich. Anna che quando bacia sta in punta di piedi. Sie küsst mich, als ob sie flippert.
Dabei weiß sie, dass sie mich verlegen macht. Aber sie will mich vorführen.
Sie lügt nie.
– Ich liebe dich.
– Sehen wir uns Sonntag?
– Nein, ich bin am Wochenende mit einem Freund ...
– Du meinst einer Freundin.
– Nein, einem Freund, du kennst ihn, es ist der, der neulich mit mir in der Bar war. Ich hab's ihm versprochen, du willst doch nicht, dass ich 'n Rückzieher mache.
– Mach keinen, aber komm nicht, um mir ... Nein, bitte, draußen wartet ein Autor.
– Ein Genie zum Lancieren?
– Ein Wurm zum Zertreten.
Ein Wurm zum Zertreten.
Ich war gekommen, dich bei Pilade abzuholen. Du warst nicht da. Habe lange auf dich gewartet, dann bin ich allein hingegangen, sonst wäre die Galerie schon geschlossen gewesen. Jemand dort sagte mir, ihr wärt schon ins Restaurant vorgegangen. Ich tat, als betrachtete ich die Bilder – die Kunst ist tot seit den Zeiten Hölderlins, sagen sie mir. Ich brauchte zwanzig Minuten, um das Restaurant zu finden, weil die Galeristen immer die auswählen, die erst nächsten Monat berühmt werden.
Du warst da, mitten unter den üblichen Gesichtern, und neben dir hattest du den; Mann mit der Narbe. Du warst keinen Moment verlegen. Hast mich komplizenhaft angesehen und – wie machst du das gleichzeitig? – herausfordernd, als wolltest du sagen: na und? Der Eindringling mit der Narbe musterte mich wie einen Eindringling. Die anderen auf dem Laufenden über alles, abwartend. Ich hätte einen Vorwand zum Streit suchen sollen. Wäre in jedem Fall hinterher gut dagestanden, auch wenn er mich geschlagen hätte. Alle wussten, dass du mit ihm dort warst, um mich zu provozieren. Ob ich nun provozierte oder nicht, meine Rolle war festgelegt. Ich gab in jedem Fall ein Schauspiel.
Ein Schauspiel ist so gut wie das andere, ich wählte die brillante Komödie, beteiligte mich liebenswürdig an der Konversation, in der Hoffnung, jemand würde meine Selbstkontrolle bewundern.
Der einzige, der mich bewunderte, war ich.
Man ist feige, wenn man sich feige fühlt.
Der maskierte Rächer. Wie Clark Kent pflege ich die jungen unverstandenen Genies, und wie Superman bestrafe ich die zu Recht unverstandenen alten. Ich kollaboriere beim Ausbeuten derer, die nicht meinen Mut hatten und sich nicht mit der Rolle des Zuschauers zu begnügen wussten.
Ist das eine Möglichkeit? Das Leben damit zu verbringen, diejenigen zu bestrafen, die niemals wissen werden, dass sie bestraft worden sind? Wolltest du Homer werden? Nimm, Bettler, und glaub daran.
Ich hasse Leute, die versuchen, mir eine Illusion von Leidenschaft zu verkaufen.
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Erinnern wir uns, daß Daath an dem Punkt liegt,
wo der Abgrund den Mittelpfeiler durchschneidet,
und daß oben auf dem Mittelpfeiler der Pfad des
Pfeils ist ... und daß hier auch Kundalini ist, so
sehen wir, daß in Daath sowohl das Geheimnis der
Zeugung wie das der Wiedererzeugung liegt, der
Schlüssel zur Manifestation aller Dinge durch die
Differenzierung der Gegensatzpaare und ihre
Vereinigung in einem Dritten.
Dion Fortune, The mystical Qabalah , London,
Fraternity of the Inner Light, 1957, 7.19
Zum Glück musste ich mich nicht um Manuzio kümmern, sondern um das wunderbare Abenteuer der Metalle. So begann ich meine Erkundung der Mailänder Bibliotheken. Ich fing mit den Handbüchern an, verzettelte die Bibliographien und gelangte von da zu den mehr oder minder alten Originalen, in denen ich gute Illustrationen finden konnte. Nichts ist schlimmer, als ein Kapitel
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