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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hat Euch das gesagt?«
    »Ich hab’s gehört. Alle munkeln, dass die Sünde Eingang gefunden hat in die Abtei. Hast du Kichererbsen?«
    Die Frage galt mir, und ich antwortete verwirrt: »Nein, ehrwürdiger Vater, ich habe keine Kichererbsen.«
    »Das nächste Mal bring mir Kichererbsen mit. Ich nehme sie in den Mund, sieh meinen armen zahnlosen Mund, und kaue sie weich. Ist gut für die Speichelbildung, aqua fons vitae. Bringst du mir morgen Kichererbsen?«
    »Bestimmt bringe ich Euch morgen Kichererbsen«, versprach ich dem Greis. Aber er hatte sich schon wieder abgewandt. Wir überließen ihn seinen Gedanken und gingen zum Refektorium.
    »Was haltet Ihr von seinen Worten?« fragte ich meinen Lehrer.
    »Er genießt den göttlichen Wahn der Hundertjährigen. Schwer zu sagen, was an seinen Worten richtig ist und was falsch. Doch ich glaube, er hat uns einen Wink gegeben, wie man ins Aedificium gelangt. Ich habe mir die Seitenkapelle angesehen, aus der Malachias gestern Abend kam. Es gibt da wirklich einen Altar, dessen Sockel mit Skulpturen von Totenköpfen bedeckt ist. Wir werden es nachher prüfen.«

 
     
    Zweiter Tag
KOMPLET
    Worin man auf finsteren Wegen ins Aedificium gelangt, einen mysteriösen Besucher entdeckt und eine Geheimbotschaft mit nekromantischen Zeichen findet, während ein Buch, kaum richtig gefunden, wieder verschwindet, um viele weitere Kapitel hindurch verschwunden zu bleiben, fast so lange wie Williams gleichfalls entwendete kostbare Augengläser.
     
    W ährend des Abendmahls herrschte bedrücktes Schweigen. Es waren kaum mehr als zwölf Stunden vergangen, seit man Venantius’ Leiche gefunden hatte. Immer wieder gingen die Blicke verstohlen zu seinem leeren Platz. Die Prozession der Mönche zum Nachtgebet in die Kirche wirkte wie ein Trauerzug. Während des Gottesdienstes standen wir wieder im Hauptschiff und behielten die dritte Seitenkapelle im Auge. Doch als Malachias dann aus dem Dunkel auftauchte, konnten wir nicht genau erkennen, wo er herausgekommen war. Langsam drückten wir uns immer mehr in den Schatten des Seitenschiffes, damit es niemandem auffiel, wenn wir nach dem Gottesdienst nicht mit den anderen die Kirche verließen. Die Lampe, die ich am Mittag in der Küche entwendet hatte, hielt ich wohlverborgen unter meinem Skapulier. Wir wollten sie an dem großen Leuchter im Chor entzünden, der die ganze Nacht über brannte. Einen neuen Docht und genügend Öl hatte ich gleichfalls besorgt, wir würden also für viele Stunden Licht haben.
    Ich war viel zu aufgeregt über unser Vorhaben, um auf die Zeremonie zu achten, und so war sie plötzlich zu Ende, ohne dass ich es recht bemerkt hatte. Die Mönche zogen ihre Kapuzen über und verließen in langer Reihe den Chor, um sich in ihre Zellen zu begeben. Wir blieben allein in der dunklen, nur vom flackernden Schein auf dem hohen Dreifuß matt erleuchteten Kirche.
    »Auf«, sagte William, »an die Arbeit!«
    Wir traten in die dritte Seitenkapelle. Der Sockel des steinernen Altars gemahnte wirklich an ein Ossarium, eine Reihe von Totenschädeln mit leeren Augenhöhlen ließen den Betrachter erschauern. Unter den Schädeln häuften sich, in wunderbarem Relief aus dem Stein gehauen, zahllose Gebeine. William wiederholte leise die Worte, die er von Alinardus vernommen (vierter Schädel von rechts, drück in die Augen...), führte zwei gespreizte Finger in die tiefen Augenhöhlen des entsprechenden Totenkopfes, und sogleich ertönte ein dumpfes Knirschen. Der Altar bewegte sich. Langsam drehte er sich um einen verborgenen Zapfen und gab eine dunkle Öffnung frei. Im Schein der Lampe erkannten wir feuchte Stufen. Wir stiegen behutsam hinunter, nachdem wir uns kurz beraten hatten, ob wir den Eingang hinter uns schließen sollten. Lieber nicht, hatte William gemeint, denn wer weiß, ob wir ihn hinterher wieder öffnen könnten. Und dass uns jemand zufällig entdecken würde, sei wohl auszuschließen, denn wer um diese Zeit hierher käme, kenne gewiss den Mechanismus und werde sich nicht von einem geschlossenen Eingang abhalten lassen.
    Nach zehn bis zwölf Stufen gelangten wir in einen schmalen Gang, in dessen Seitenwänden sich waagerechte Nischen auftaten, wie ich sie später in vielen Katakomben sah. Doch es war das erste Mal, dass ich ein Ossarium betrat, und mir pochte das Herz bis zum Hals vor Schauder. Die Gebeine zahlloser Mönche waren im Lauf der Jahrhunderte hier versammelt worden, aus der Erde gegraben und aufgehäuft in den

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