Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
»schließlich verkehren doch Sie hier. An wen glauben Sie ... Pardon: glaubten Sie unter all diesen hier?«
    »An niemanden selbstverständlich. Sehe ich aus wie ein gläubiger Mensch? Ich betrachte sie mit dem kühlen Blick, dem Verständnis und dem Interesse, mit welchen ein Theologe die neapolitanischen Massen betrachten kann, die voller Erregung auf das Wunder von San Gennaro warten. Diese Massen bezeugen einen Glauben, ein tiefes Bedürfnis nach Gläubigkeit, und der Theologe bewegt sich unter diesen schwitzenden und schreienden Leuten, weil er unter ihnen den unbekannten Heiligen antreffen könnte, den Träger einer höheren Wahrheit, der eines Tages imstande sein könnte, ein neues Licht auf das Mysterium der allerheiligsten Trinität zu werfen. Doch die allerheiligste Trinität ist nicht San Gennaro.«
    Er war nicht zu packen. Ich wusste nicht, wie ich seine Haltung definieren sollte, diesen hermetischen Skeptizismus, diesen liturgischen Zynismus, diese höhere Ungläubigkeit, die ihn dazu brachte, die Würde jedes von ihm verachteten Aberglaubens anzuerkennen.
    »Es ist doch ganz einfach«, sagte er zu Belbo. »Wenn die Templer, ich meine die wahren, ein Geheimnis hinterlassen und eine Kontinuität gestiftet haben, dann muss man nach ihren Erben suchen, und das in denjenigen Kreisen, in denen sie sich am besten verbergen könnten, wo sie womöglich selber Riten und Mythen erfinden, um sich unbemerkt bewegen zu können wie Fische im Wasser. Was macht die Polizei, wenn sie den genialen Ausbrecher sucht, das Genie des Bösen? Sie wühlt in den bas fonds , im Bodensatz der Gesellschaft, in den Spelunken, wo sich die kleinen Strolche herumtreiben, die niemals soweit gelangen werden, die grandiosen Verbrechen des Gesuchten auch nur zu konzipieren. Was macht der Stratege des Terrorismus, um seine künftigen Anhänger zu rekrutieren, um sich mit den Seinen zu treffen und sie zu erkennen? Er geht in die Lokale der Pseudo-Aussteiger, wo viele, die nie wirklich aussteigen werden, weil sie viel zu schwach dazu sind, ostentativ die vermeintlichen Verhaltensweisen ihrer Idole mimem. Wo sucht man das verlorene Licht? In den Bränden sucht man es, oder im Unterholz, wo nach dem Brand die Flammen weiterschwelen unter den toten Wurzeln, dem Fettschlamm, dem halbverbrannten Laub. Und wo könnte sich der wahre Templer besser verbergen als in der Menge seiner Karikaturen?«

 
    62
     
    Wir betrachten als druidische Gesellschaften per
    definitionem diejenigen Gesellschaften, die sich als
    druidisch in ihrem Namen oder in ihren Zielen
    bezeichnen und Initiationen gewähren, die sich auf
    das Druidentum berufen.
     
    M. Raoult, Les druides. Les sociétés initiatiques celtes contemporaines ,
    Paris, Rocher, 1983, p. 18
     
    Mitternacht rückte näher, und nach Agliès Programm erwartete uns die zweite Überraschung des Abends. Wir verließen die palatinischen Gärten und machten uns erneut auf die Fahrt durch die Hügel.
    Nach einer Dreiviertelstunde ließ Agliè die beiden Wagen am Rand einer Waldung halten. Wir müssten jetzt ein Gestrüpp durchqueren, sagte er, um zu einer Lichtung zu gelangen, und es gebe dorthin weder Straßen noch Wege.
    Wir stapften auf einem leicht ansteigenden Trampelpfad durch das Unterholz. Es war nicht feucht, aber die Sohlen rutschten auf einer Schicht fauliger Blätter und glitschiger Wurzeln. Agliè knipste ab und zu eine Taschenlampe an, um gangbare Wege zu finden, aber er machte sie jedes Mal gleich wieder aus, weil es – wie er sagte – nicht nötig sei, dass unser Kommen den Zelebranten signalisiert werde. Einmal setzte Diotallevi zu einem Kommentar an, ich weiß nicht mehr genau, was er sagte, vielleicht war es etwas von Rotkäppchen und dem Wolf, doch Agliè bat ihn mit einer gewissen Strenge zu schweigen.
    Schon als wir aus den Autos gestiegen waren, hatten wir ferne Stimmen gehört. Endlich gelangten wir an den Rand der Lichtung, die nun von diffusen Lichtern beleuchtet erschien, von kleinen Fackeln oder Funzeln, die am Boden glommen, ein mattes Silbergefunkel, als glühte da eine gasförmige Substanz mit chemischer Kälte in Seifenblasen, die über den Grasboden tanzten. Agliè hieß uns stehenbleiben, wo wir standen, noch im Schutz des Gebüschs, und dort zu warten, ohne uns bemerkbar zu machen.
    »In Kürze werden die Priesterinnen erscheinen. Besser gesagt, die Druidinnen. Es geht um eine Beschwörung der großen kosmischen Jungfrau Mikil – Sankt Michael ist eine

Weitere Kostenlose Bücher