Die historischen Romane
machte ich mich mit Feuereifer an die Entdeckung der Miniaturen des Liber Solis von Trismosin, des Liber Mutus , des Pseudo-Lullus. Ich füllte Schnellhefter mit Drudenfüßen, Sefiroth-Bäumen, Dekanen und Talismanen. Ich streifte durch die entlegensten Säle der Bibliotheken, ich kaufte Dutzende von Büchern in jenen Läden, die früher einmal die Kulturrevolution verkauft hatten.
Unter den Diabolikern bewegte ich mich inzwischen mit der Unbefangenheit eines Psychiaters, der seinen Patienten zugetan ist und die Brisen balsamisch findet, die durch den weiten Park seiner Privatklinik wehen. Nach einer Weile beginnt er, Texte über den Wahn zu schreiben, dann wahnhafte Texte. Er merkt nicht, dass seine Kranken ihn angesteckt haben – er glaubt, er wäre ein Künstler geworden. So entstand die Idee des Großen Plans.
Diotallevi machte das Spiel mit, da es für ihn eine Form des Gebetes war. Was Belbo anging, glaubte ich damals, dass er sich genauso wie ich amüsierte. Erst jetzt begreife ich, dass er kein echtes Vergnügen daran fand. Er machte mit, so wie einer Nägel kaut.
Oder aber er spielte, um wenigstens eine jener falschen Adressen zu finden, oder jene Bühne ohne Rampe, von denen er in seinem file namens »Traum« spricht. Ersatztheologien für einen Engel, der nie ankommen wird.
Filename: Traum
Ich weiß nicht mehr, ob ich einen im andern geträumt habe, ob die Träume einander in derselben Nacht folgen, oder ob sie Nacht für Nacht alternieren.
Ich suche nach einer Frau, einer Frau, die ich kenne, mit der ich enge Beziehungen hatte, so enge, dass ich gar nicht begreifen kann, wieso ich sie gelockert habe – ich, indem ich mich nicht mehr sehen ließ. Es kommt mir ganz unbegreiflich vor, dass ich so viel Zeit habe vergehen lassen. Ich suche gewiss nach ihr, genauer: nach ihnen, die Frau ist nicht nur eine, es sind viele, die ich alle auf die gleiche Weise verloren habe, alle durch meine Nachlässigkeit – und ich bin von Zweifeln erfüllt, und eine einzige würde mir schon genügen, denn eines weiß ich: durch ihren Verlust habe ich sehr viel verloren. In der Regel kann ich das Notizbuch, in dem die Telefonnummer steht, nicht finden oder habe es nicht mehr oder kann mich nicht entschließen, es aufzuschlagen, und wenn ich's doch aufschlage, ist es, als ob ich weitsichtig wäre, ich kann die Namen nicht lesen.
Ich weiß, wo sie ist, oder besser, ich weiß nicht, an welchem Ort, aber ich weiß, wie er aussieht, ich habe eine klare Erinnerung an eine Treppe, einen Hauseingang, eine Wohnungstür. Ich laufe nicht durch die Stadt, um den Ort wiederzufinden, ich fühle mich eher erstarrt vor Angst, blockiert, ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich es zulassen oder gar wollen konnte, dass die Beziehung erlosch – womöglich, indem ich das letzte Rendezvous versäumte. Ich bin sicher, dass sie auf einen Anruf von mir wartet. Wenn ich nur wüsste, wie sie heißt, ich weiß sehr gut, wer sie ist, ich kann mich nur nicht mehr auf ihr Gesicht besinnen.
Manchmal, im Halbschlaf hinterher, hadere ich mit dem Traum. Denk nach, erinnere dich, sage ich mir, du kannst dich sehr gut an alles erinnern, du hast mit allem ordentlich abgeschlossen oder hattest gar nicht erst angefangen. Da ist nichts Unerledigtes in deinem Leben, nichts Verlorengegangenes, nichts, wovon du nicht wüsstest, wo es geblieben ist. Da ist nichts.
Bleibt der Verdacht, ich könnte etwas vergessen, in den Falten der Eile liegengelassen haben, so wie man einen Geldschein oder einen Zettel mit einer wichtigen Notiz in einer Gesäßtasche oder einer alten Jacke vergisst, und erst später geht einem auf, dass gerade dies die allerwichtigste Sache war, die entscheidende, die einzige.
Von der Stadt habe ich ein klareres Bild. Es ist Paris, ich bin am linken Seineufer, und ich weiß, wenn ich über den Fluss ginge, würde ich mich auf einem Platz befinden, der die Place des Vosges sein könnte ... nein, offener, denn im Hintergrund steht eine Art Madeleine. Wenn ich den Platz überquere und hinter den Tempel gehe, finde ich eine Straße (mit einem Antiquariat an der Ecke), die im Bogen nach rechts abbiegt zu einer Reihe kleiner Gassen, und da bin ich bestimmt im Barrio Gótico von Barcelona. Man könnte hinausgelangen auf eine breite Allee voller Lichter, und an dieser Allee, ich erinnere mich mit einer Deutlichkeit, als ob ich es vor mir sähe, ist rechts, am Ende einer schmalen Sackgasse, das Theater.
Ungewiss bleibt, was an
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