Die historischen Romane
befähigt, diese Arbeit zu tun?«
Inzwischen war Diotallevi hereingekommen.
»Klar gibt es eins«, sagte Belbo, »und theoretisch erlaubt es die Eingabe von bis zu zweitausend Daten. Man muss sich nur hinsetzen und sie schreiben. Angenommen, die Eingabedaten sind Verse möglicher Gedichte. Das Programm fragt, wie viele Verse ein Gedicht haben soll, und Sie entscheiden – zehn, zwanzig, hundert. Dann nimmt das Programm die Zahl der Sekunden aus der Uhr im Computer und randomisiert sie, was in einfachen Worten heißt: es gewinnt daraus eine Formel für immer neue Kombinationen. Mit zehn Versen können Sie Tausende und Abertausende von Zufallsgedichten bekommen. Gestern habe ich ein paar Verse eingegeben, solche wie Füllest wieder Busch und Tal, Schwer sind meine Lider, Krächzt der Rabe: Nimmermehr, Wenn die Aspidistra wollte, Reich mir die Hand, mein Leben und dergleichen. Hier ein paar Resultate.«
Ich zähle die Nächte, es tönt das Sistrum
Jenseits des Heckenzaunes
Jenseits des Heckenzaunes ...
Wenn die Aspidistra wollte ...
Aus dem Herzen der Dämmrung (o Herz),
du linkischer Albatros
(wenn die Aspidistra wollte ... )
Jenseits des Heckenzaunes.
Füllest wieder Busch und Tal,
ich zähle die Nächte, es tönt das Sistrum,
krächzt der Rabe: Nimmermehr
Füllest wieder Busch und Tal.
»Natürlich gibt es Wiederholungen, das war nicht zu vermeiden, es sieht so aus, als würde das Programm sonst ein bisschen zu kompliziert. Aber auch die Wiederholungen haben einen poetischen Sinn.«
»Interessant«, meinte Diotallevi. »Das versöhnt mich mit deiner Maschine. Demnach, wenn ich ihr die ganze Torah eingeben und dann befehlen würde, sie – wie heißt der Ausdruck? – zu randomisieren, dann würde sie echte Temurah machen und die Verse des Buches ganz neu kombinieren?«
»Sicher, ist nur eine Frage der Zeit. In ein paar Jahrhunderten wärst du fertig.«
»Aber«, sagte ich, »wenn man stattdessen ein paar Dutzend Kernsätze aus den Werken der Diaboliker eingibt, zum Beispiel Die Templer sind nach Schottland geflohen , oder Das Corpus hermeticum gelangte 1460 nach Florenz , und dazu ein paar Verbindungsfloskeln wie es ist evident, dass , oder dies beweist, dass , dann könnten wir aufschlussreiche Sequenzen bekommen. Man bräuchte nur noch die Lücken zu füllen, oder man wertet die Wiederholungen als Wahrsagungen, Anregungen, Ermahnungen. Schlimmstenfalls erfinden wir auf diese Weise ein ganz neues Kapitel der Geschichte der Magie.«
»Genial«, sagte Belbo. »Fangen wir gleich an.«
»Nein, es ist schon sieben. Morgen.«
»Ich mach's gleich heute Abend. Helfen Sie mir noch einen Moment. Nehmen Sie aufs Geratewohl zwei Dutzend dieser Blätter vom Boden, lesen Sie mir den ersten Satz vor, auf den Ihr Blick fällt, und den gebe ich dann als Datum ein.«
Ich bückte mich und nahm ein Blatt: »Joseph von Arimathia bringt den Gral nach Frankreich.«
»Hervorragend, ist notiert. Weiter!«
»Nach der templerischen Tradition hat Gottfried von Bouillon in Jerusalem das Großpriorat von Zion gestiftet. Debussy war ein Rosenkreuzer.«
»Entschuldigung«, sagte Diotallevi, »aber man muss auch ein paar neutrale Daten einfügen, zum Beispiel: Der Koala lebt in Australien, oder: Papin ist der Erfinder des Dampfkochtopfs.«
»Minnie ist die Verlobte von Mickymaus«, schlug ich vor.
»Übertreiben wir nicht.«
»Doch, übertreiben wir. Wenn wir anfangen einzuräumen, dass auch nur eine einzige Gegebenheit im Universum existieren könnte, die nicht etwas anderes enthüllt, sind wir schon außerhalb des hermetischen Denkens.«
»Stimmt. Also rein mit Minnie. Und wenn ihr gestattet, ich würde ein fundamentales Grunddatum einfügen: Die Templer sind immer im Spiel.«
»Keine Frage«, bestätigte Diotallevi.
Wir machten noch ein halbes Stündchen so weiter. Dann war es wirklich spät. Aber Belbo sagte, wir sollten ruhig gehen, er werde allein weitermachen. Gudrun kam herein, um zu sagen, sie werde jetzt abschließen, Belbo teilte ihr mit, dass er noch arbeiten wolle, und bat sie, die Papiere vom Boden aufzulesen. Gudrun grummelte einige Laute, die ebensogut zum flexionslosen Latein wie zum entlegensten Cheremis gehören konnten und wohl in beiden Missbilligung und Verdruss ausdrückten – ein Zeichen für die universale Verwandtschaft aller Sprachen, die allesamt von einer einzigen adamitischen Ursprache abstammen. Doch sie gehorchte und randomisierte besser als jeder Computer.
Am
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