Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
die unsere »kaum die ganzen Stunden anzeigt«. Wer hatte da die Schläge der göttlichen Uhr verpasst, wer war da nicht imstande gewesen, im rechten Moment an einen bestimmten Punkt zu gelangen? Angespielt wurde auf eine erste Gruppe von Brüdern, die eine geheime Philosophie hätten aufdecken können, aber beschlossen hatten, sich in die Welt zu zerstreuen.
    Die Manifeste ließen ein Unbehagen erkennen, eine Ungewissheit, ein Gefühl der Verlorenheit. Die Brüder der ersten Generation hätten dafür gesorgt, dass jeder von ihnen »mit einem tauglichen Successor ersetzt« wurde, aber »sie hatten beschlossen, dass so viel immer möglich ihre Begräbnisse verborgen blieben«, weshalb man heute nicht wisse, »wo ihrer etliche geblieben«.
    Worauf spielte das an? Was wusste man nicht? Von welchem »Begräbnis« fehlte die Ortsangabe? Offenkundig waren die Manifeste geschrieben worden, weil irgendeine Information verlorengegangen war und man nun diejenigen suchte, die sie zufällig kannten.
    Der Schluss der Fama war unmissverständlich: »Deshalb ersuchen wir abermals alle Gelehrten in Europa ... , dass sie mit wohlbedachtem Gemüt dies unser Erbitten erwägen ... , die gegenwärtige Zeit mit allem Fleiß besehen und dann ihre Bedenken ... uns schriftlich im Druck eröffnen. Denn obwohl weder wir noch unsere Versammlung bisher unsere Namen genannt ... , soll keinem, der seinen Namen wird angeben, daraus ein Nachteil erwachsen, wenn er sich mit unsereinem entweder mündlich oder, falls ihm dies je bedenklich erscheint, schriftlich austauscht.«
    Genau das war es, was der Oberst im Sinn gehabt hatte, als er seine Geschichte veröffentlichen wollte. Jemanden zwingen, aus dem Schweigen herauszutreten.
    Es hatte einen Sprung gegeben, eine Unterbrechung, einen Riss im Maschengewebe. In der Grabkammer des C. R. stand nicht nur geschrieben: Post 120 annos patebo , was an den Rhythmus der Treffen erinnern sollte, es stand dort auch geschrieben: Nequaquam vacuum . Was nicht hieß: »Es gibt kein Vakuum«, sondern: »Es darf kein Vakuum geben.« Und nun hatte sich doch ein Vakuum gebildet, das gefüllt werden musste!
     
    Warum aber, fragte ich mich ein weiteres Mal, warum wurden all diese Sachen in Deutschland gesagt, wo doch die vierte Generationslinie einfach geduldig abwarten sollte, bis sie an die Reihe kam? Die Deutschen konnten sich doch – im Jahre 1614 – nicht über ein verpasstes Treffen in Marienburg beklagen, das erst für 1704 vorgesehen war!
    Nur eine Schlussfolgerung war möglich: Die Deutschen beschwerten sich darüber, dass das vorangegangene Treffen nicht stattgefunden hatte!
    Das war der Schlüssel! Die Deutschen der vierten Linie beklagten sich darüber, dass die Engländer der zweiten Linie die Franzosen der dritten verpasst hatten! Natürlich, so musste es gewesen sein! Der Text enthielt Anspielungen von einer geradezu kindischen Deutlichkeit: Das Grab des C. R. wird geöffnet, und man findet darin die Unterschriften der Brüder des ersten und zweiten Zirkels, nicht aber die des dritten! Portugiesen und Engländer sind da, aber wo sind die Franzosen?
    Kurzum, die beiden Manifeste der Rosenkreuzer sprachen, wenn man sie richtig zu lesen verstand, von der Tatsache, dass die Engländer die Franzosen verpasst hatten. Und nach dem, was wir inzwischen festgestellt hatten, wussten die Engländer als einzige, wo die Franzosen zu finden waren, und die Franzosen, als einzige, wo die Deutschen zu finden waren. Doch selbst wenn die Franzosen dann 1704 die Deutschen gefunden hätten, wären sie nur mit einem Drittel dessen gekommen, was sie ihnen übergeben sollten.
    Die Rosenkreuzer traten ans Licht der Öffentlichkeit und riskierten, was sie riskierten, da es die einzige Chance war, den Großen Plan zu retten.

 
    71
     
    ... wissen wir also nicht gewiß, ob die des andern
    Reyen von gleicher weißheit mit den ersten gewesen
    und zu allem zugelassen worden.
     
    Fama Fraternitatis , in Allgemeine und General Reformation ,
    Kassel, Wessel, 1614
     
    Stolz verkündete ich meine Entdeckungen Belbo und Diotallevi. Sie stimmten zu, dass der geheime Sinn der Manifeste offen zu Tage lag, selbst für einen Okkultisten.
    »Jetzt ist alles klar«, sagte Diotallevi. »Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, dass der Plan beim Übergang von den Deutschen zu den Paulizianern steckengeblieben wäre, und dabei hatte schon 1584 der Übergang von England nach Frankreich nicht geklappt.«
    »Aber warum nicht?« fragte Belbo. »Haben wir

Weitere Kostenlose Bücher