Die Hitze der Hölle
Mörder muß gesehen haben, daß ich ihn aufsuchte. Ich glaube, die Wahrheit findet sich unter Bruder Odos Papieren.«
Ranulf begab sich ins Gästehaus, um Maltote zu holen. Corbett ließ sich von einer der Wachen den Weg zur Bibliothek erklären. Als er den langen Raum betrat, war es dort bereits ziemlich dunkel.
»Gott sei Eurer Seele gnädig, Bruder Odo«, flüsterte er. »Und Gott möge mir vergeben, falls ich für Euren Tod verantwortlich bin.«
Er trat zu Bruder Odos Schreibnische. Der Tisch war von Pergamentfetzen übersät. In der Mitte lag eine große Velinpapierrolle — Odos Chronik. Corbett rollte sie auf, betrachtete die dramatischen Bilder des Falls von Akka, sah sich ganz genau die Handschrift an und überlegte, ob sich in ihr wohl ein Hinweis auf das geheimnisvolle Feuer finden könne. Auf den Illustrationen waren Steinwurfmaschinen mit brennenden Reisigbündeln abgebildet. Corbett maß dem jedoch keine besondere Bedeutung bei. Er rollte die Handschrift wieder auf, seufzte und wandte sich dann den Pergamentschnipseln zu. Einige waren schon sehr alt, einer fiel ihm jedoch sofort ins Auge. Auf ihn hatte Bruder Odo offensichtlich am Tage seines Todes etwas gekritzelt: Die Zeichnung eines Schreibers mit einer langen Nase, daneben, skizziert, eine Krähe. Corbett mußte lächeln. Die Notizen waren jedoch in Kurzschrift. Corbett erinnerte sich, was ihm Bruder Odo über die Runen erzählt hatte. Ein Zeichen tauchte immer wieder auf und wurde stets von einem Fragezeichen begleitet. Einige der Runen vermochte er aufzulösen, aber es gelang ihm nicht, hinter das System zu kommen. Erging zum Eingang der Bibliothek zurück und suchte auf den Regalen, bis er fand, was er benötigte — einen dicken Band mit gelben Seiten, in Kalbsleder gebunden und mit einem riesigen Schloß versehen, der Codex Grammaticus. Corbett zog ihn heraus und begab sich mit ihm zu Bruder Odos Schreibpult. Er öffnete den Band und begann zu blättern, Abhandlungen über das Griechische und Hebräische und in einem Anhang, der bereits eifrig in Gebrauch gewesen war, die Buchstaben des lateinischen Alphabets mit den angelsächsischen Runen daneben. Corbett nahm eine Feder und Odos Pergamentfetzen und versuchte die Kritzeleien des toten Bibliothekars zu entziffern. Anfänglich ließen die Runen keinen Sinn erkennen. Es gab die Wörter, die er herausbrachte, einfach nicht. Corbett erinnerte sich daran, daß Odos Chronik lateinisch geschrieben war. Er versuchte es noch einmal. Jetzt verstand er: »Ignis Diaboli«, Höllenfeuer, »Liber Ignium«, das Buch der Feuer, und schließlich ein Name und ein Wort, die immer wieder auftauchten: »Bacons Geheimnis«.
»Du liebe Güte!« flüsterte Corbett. »Was kann er damit nur meinen?«
Das Höllenfeuer, dachte er. So beschrieb auch Odo die Flammen, denen der arme Peterkin und sein Mitbruder Reverchien zum Opfer gefallen waren. Das »Buch der Feuer«? Handelte es sich dabei um eine Art Leitfaden? Um ein Buch mit Zauberformeln? Und »Bacons Geheimnis«? Was hatte das mit diesen fürchterlichen Feuern zu tun? Corbett erhob sich ratlos. Eine Weile suchte er nach einem Katalog über die Schätze der Bibliothek. Als er ihn schließlich fand, entdeckte er keinen Hinweis auf ein »Buch der Feuer«. Es stand da auch nichts, was »Bacons Geheimnis« hätte erklären können. Er räumte gerade den Tisch auf und rollte das Blatt mit den Notizen zusammen, die er sich gemacht hatte, als er vom anderen Ende der Bibliothek her ein Geräusch hörte. Eine Tür quietschte, dann wurde ein Riegel vorgeschoben. Corbett stand auf. Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel und schaute den langen Saal entlang. Er sah jedoch nur Staubkörnchen, die in den Sonnenstrahlen über dem auf Hochglanz polierten Holzfußboden tanzten.
»Wer ist da?« rief er und trat einen Schritt zur Seite. »Wer ist da?« rief er ein weiteres Mal.
»Wisse, daß wir kommen und gehen, wie es uns beliebt.« Die Stimme war leise und nicht zu erkennen. Die Worte hallten dumpf in der Bibliothek wider wie das traurige Läuten einer Totenglocke.
Da hörte Corbett ein anderes Geräusch — das Klicken eines Metallverschlusses. Er warf sich zur Seite, und der Bolzen der Armbrust verfehlte nur knapp seinen Kopf und schlug hinter ihm in die Wand ein.
»Wisse«, die Stimme wurde lauter, »daß dir all dein Besitz abhanden kommt und schließlich uns zufällt.«
Wieder das Klicken. Corbett hatte hinter den Regalen Schutz gesucht. Und erneut schlug ein mit
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