Die Hitze der Hölle
Zugluft unter die Tür genagelt war. Corbett lächelte. »Hol mich der Teufel«, murmelte er.
Allmählich ahnte er, auf welche Weise sämtliche Opfer gestorben waren. Aber er rätselte immer noch über Identität und Motiv des Mörders. Er legte sein Schreibzeug auf den Tisch, las eine Weile in seinen Notizen und versuchte dann, sich an Gespräche zu erinnern, an besondere Vorfälle, Gesten und Mienen. Er mußte immer wieder an den toten Baddlesmere denken, die in der Zugluft schwankende Leiche, und an die rätselhafte Inschrift an der Wand.
»Die Wahrheit findet sich nicht am Ufer«, murmelte Corbett. »Sie findet sich in der Mitte der Straße. Was kann Baddlesmere mit diesem Unsinn nur gemeint haben?«
Er schlief eine Weile, stand dann auf und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu holen. Ein säuerlicher, unwirscher Gefolgsmann warf es ihm fast ins Gesicht Später am Nachmittag klopfte es an der Tür. De Molay erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. Corbett bejahte die Frage und widmete sich wieder dem Studium seiner Papiere. Er beschloß, mit dem ersten Beweisstück zu beginnen, der Drohung der Assassinen. Erneut grübelte er darüber nach, daß es zwei Fassungen gab.
»Warum, warum, warum?« fragte sich Corbett laut. »Warum sind sie unterschiedlich?«
Es gab die Drohung, die am Portal der St. Pauls Kathedrale gehangen hatte. Sie stimmte sowohl mit der von Baddlesmere als auch mit der, die man ihm in der Bibliothek zugerufen hatte, überein. Diese drei unterschieden sich geringfügig von Claverleys und der, die er auf der Ouse Bridge erhalten hatte. Jede Geschichte, überlegte Corbett, geht auf eine einzige Quelle zurück, ganz egal, ob es sich jetzt um eine Liebesgeschichte oder um eine Nachricht handelt. Sie verändert sich erst dann, wenn sie weitererzählt wird. Baddlesmere erfuhr von der Drohung, als der König mit de Molay und den anderen Kommandanten des Templerordens zusammentraf. Aber warum war die Warnung, die er auf der Ouse Bridge erhalten hatte, dieselbe wie die von Claverley? Corbett fuhr sich mit der Hand an den Mund.
»Du liebe Güte!« murmelte er. »Soviel zu deinen logischen Fähigkeiten, Corbett!«
Er kehrte zu seinen Notizen zurück. Jetzt dachte er in anderen Bahnen. Er konzentrierte sich darauf, wann die Drohungen erfolgt waren und wie der Angriff auf sein Leben in York abgelaufen war.
Schließlich schaute er auf. »Die Templer waren ja vielleicht in York, als ich die Warnung erhielt«, flüsterte er, »sie hatten aber alle bereits die Stadt verlassen, als ich überfallen wurde.«
Er griff wieder zu seiner Feder. Also, schrieb er auf, mußte der Überfall von jemand anders geplant worden sein. Corbett kaute auf dem Federkiel. Eine Weile hatte er Baddlesmere und Scoudas im Verdacht gehabt, aber beide waren unschuldig. Sie waren vollauf mit ihrem illegalen Verhältnis beschäftigt, hatten keine Zeit für irgend etwas anderes. Corbett stand auf, öffnete die Fensterläden und schaute in die Abenddämmerung. Er hatte das Rätsel teilweise gelöst. Das Wie und das Warum. Das Wer war aber immer noch offen. Wen hatte Baddlesmere im Verdacht? Was hatte die Inschrift zu bedeuten? Konnte sie ihn zur Wahrheit führen oder war sie eine Warnung an den Mörder oder etwa beides? »Veritas stat«, übersetzte Corbett mit »die Wahrheit befindet sich«, aber was hatte das »in ripa« zu bedeuten? Er fing an, die beiden Worte vor sich hin zu sagen. Er vertauschte ihre Reihenfolge, aber das änderte auch nichts. Er nahm den Zettel mit der Drohung, den ihm der kleine Junge auf der Ouse Bridge zugesteckt hatte, dann schaute er wieder auf seine Notizen. Habe ich irgend jemandem davon erzählt? überlegte er. Und wenn nicht, welcher von den Templern hat es dann erwähnt? Er zermarterte sich das Gehirn, aber seine Augenlider wurden langsam schwer. Er überzeugte sich noch einmal, daß die Tür fest verschlossen war, wickelte sich dann in seinen Umhang und legte sich aufs Bett.
13
Ranulf und Maltote kehrten am späten Vormittag des folgenden Tages zurück. Beide waren unrasiert, sahen unausgeschlafen aus und erklärten entschieden, daß sie erst nach langem Suchen das Verlangte gefunden hätten. Darüber sei es Nacht geworden und damit die Ausgangssperre verhängt und die Stadttore geschlossen worden. Also hätten sie sich ein Zimmer in einer Schenke in der Nähe von Botham Bar nehmen müssen.
»Ja, und das Ale habt Ihr dort natürlich auch probieren müssen?« sagte Corbett
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