Die Hitzkammer
in den eisernen Topf goss. Wie groß musste der Einfluss des Teufelsanführers sein, dass er seine »Brüder« in einem armseligen Eisentopf den »Gral der schwarzen Messe« erblicken ließ!
Die Gestalt hinkte davon. Lapidius wartete weiter. Er konnte nun kaum noch stehen, weshalb er sich, halb aufgerichtet, halb sitzend, an eine schmale Felskante drückte.
Wieder erschien die Gestalt, die Lapidius mittlerweile vertraut war, und setzte ein weiteres Gefäß neben dem linken Feuer ab. Ob darin der Rauschtrank war? Lapidius blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken, denn nun erklang ein Wechsel aus Jauchzen, Singen und Frohlocken, immer lauter werdend und beherrscht von einem einzigen, alles übertönenden Wort: »Tod … Tod … Toood!« Die Gestalt fiel ein in den Betgesang und ließ sich dabei auf den Boden nieder. Dort lag sie, wie Christus am Kreuz gehangen hatte, und starrte durch die Maske nach unten, als ob sie mit den Augen den Fels durchbohren und die Hölle erblicken könnte. »Toooood! «
Die Gestalt erhob sich wieder und rief: »Alles ist bereit in deinem Reich, oh, Erster Sohn des Teufels!«
Lapidius schluckte. Endlich! Gleich würde der Teufelsanführer erscheinen, und er würde wissen, ob er mit seinen Schlussfolgerungen richtig gelegen hatte. Doch niemand ließ sich blicken. Nur die Gestalt schien jetzt zu beten. Sie kniete am Boden und blickte ins Feuer. Erneut klang Gesang aus der Ferne.
Wie lange dauerte das denn noch! Lapidius hatte j edes Zeitgefühl verloren, glaubte aber, dass Mitternacht nahe war. Was war das? Für einen Augenblick hatte seine Aufmerksamkeit nachgelassen, und ihm war eine zweite Gestalt entgangen, die aus dem rechten toten Gang gekommen war und nun den linken betrat. Wenig später erschien die zweite Gestalt wieder, mit dem Rücken voran. Es war ein riesiger Rücken, der zu einem ebenso riesigen Mann gehörte. Er zerrte etwas hinter sich her, und man sah, dass er dazu viel Kraft benötigte. Das Etwas war eine Frau, die sich, obwohl an Händen und Füßen gefesselt, heftig zappelnd wehrte. Jetzt hob er sie an und trug sie zu den Stalagmiten. Die Frau war – Marthe!
Was Lapidius die ganze Zeit geahnt, aber nicht hatte glauben wollen, war eingetreten: Marthe war hierher verschleppt worden. Wahrscheinlich hatte man sie unbemerkt im Obstpflückerkorb heraufgetragen, um sich ihrer zu entledigen. Und es gab nur einen, der zu einer solchen Kraftanstrengung in der Lage war: Gorm.
Warum das alles?, fragte Lapidius sich und gab sich selbst sofort die Antwort: Zu hartnäckig hatte die Magd sich geweigert, Aussagen über Freyja zu machen, zu grob war sie den Zeuginnen begegnet, zu locker war ihr Mundwerk, mit dem sie den Teufeln künftig schaden konnte.
Marthe trug einen Knebel im Mund, weshalb sie nur keuchende, grunzende Laute von sich geben konnte. Dennoch kämpfte sie. Sie stieß mit den Füßen gegen die Beine ihres Gegners, doch hätte sie ebenso gut gegen eine Wand treten können.
Lapidius ballte ohnmächtig die Fäuste. Wie gern hätte er Marthe geholfen, aber es wäre ungeschickt, j a gefährlich falsch gewesen, schon jetzt einzugreifen. So musste er mit ansehen, wie der Riese seiner Magd einen Schlag ins Gesicht versetzte. Es gab ein dumpfes, klatschendes Geräusch. Marthes Kopf sackte bewusstlos zur Seite. Der Koloss schnaufte und riss ihr den Knebel heraus. Dann nahm er ihr die Fesseln ab.
»Du sollst nicht immer so grob sein!« Der Schrei war von einer Teufelsgestalt gekommen, die auf einmal mitten im Raum stand. Lapidius hatte sie gar nicht bemerkt, zu sehr war er durch Marthes Misshandlung abgelenkt worden.
Der Riese zuckte mit den Schultern.
»Es geht doch auch anders«, fuhr die Teufelsgestalt mit normaler Stimme fort. Sie rückte sich die Maske zurecht und schritt auf die Magd zu. Lapidius taxierte den Mann. Er hinkte nicht, und er war bei weitem nicht so groß wie der Riese.
»Sei ganz ruhig, Marthe, du bist unter Freunden. Du bist unter Freunden, unter Freunden …«
Lapidius murmelte unhörbar: »Da wär ich mir nicht so sicher.« Ein Gefühl des Triumphs keimte in ihm auf. Er hatte den Mann endgültig erkannt. An Stimme, Art und Gestik. Nun musste sich nur noch alles so fügen, wie er es erhoffte.
»Vergiss, Marthe, was der Zweite Sohn des Teufels dir angetan hat. Vergiss, dass er dich gefesselt, geknebelt und geschlagen hat. Das war nicht schön. Aber es war notwendig, damit du den Weg zu uns finden konntest.«
Marthe blinzelte mit den Augen. Sie
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