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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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scharfer Verstand die vielen Widersprüche in der kirchlichen Lehre nicht akzeptieren wollte.
    »Sonntag erst«, sagte sie.
    Lapidius schob sich die Truhe heran, um nicht immerfort vor ihr knien zu müssen. »Wieso erst? Du hast bald eine Woche hinter dir. Dann fehlen nur noch zwei.«
    »Der Mund tut mir weh, als wär ein Reibeisen drin. Alles ist wässrig und wund.«
    »Was, wirklich? Großartig! Glaub mir, das Wundsein ist ein Beweis dafür, dass die Therapie anschlägt. Auch der verstärkte Speichelfluss spricht dafür. Er zeugt von der Kraft der Quecksilberschmiere. Sie muss so beschaffen sein, dass sie die kranken Säfte selbst aus den entferntesten Teilen des Leibes zusammentreibt. Ein Teil der Diskrasiesäfte fließt ins Hirn, die Hauptmenge jedoch sammelt sich im Mund und geht mit dem Speichel ab. Ich freue mich für dich.«
    »Ihr habt gut reden. Ihr seid gesund.«
    »Stimmt, aber ich helfe dir gern.« »Das habt Ihr schon mal gesagt. Und warum tut Ihrs nun wirklich?«
    Lapidius, der sich niemals, nicht einmal nachts, von seiner Samtkappe trennte, beschloss, für dieses eine Mal eine Ausnahme zu machen. Langsam beugte er den Kopf vor und nahm sie ab.
    Freyj as Augen wurden groß. »Ihr … Ihr seid j a kahl! Kahl wie ein Kohlkopf.«
    Lapidius lachte leise.
    »Ihr habt … Ihr habt auch …?«
    »Ja«, nickte er. »Auch ich hatte einst die Syphilis. Vor neun Jahren war es, im Nordspanischen. Die Krankheit offenbarte sich in einer Stadt namens Leon, und ich war so arm und schwach wie der Ärmste und Schwächste auf dieser Welt. Aber es gab jemanden, der mir half. Man nannte ihn Conradus Magnus, er war ein Doctorus universalis, der sich in den Künsten der Alchemie auskannte. Er nahm mich in sein Haus auf und pflegte mich, als wäre ich sein Sohn. Ich lag drei Wochen darnieder und durchlebte die Hölle auf Erden. Aber ich stand wieder auf und wurde gesund. Mein Herz war voll Dankbarkeit, und ich fragte Conradus, wie ich das jemals wieder gutmachen könne. Da antwortete er mir, ich solle, wenn es so weit wäre, nur ganz genau wie er handeln. Mehr nicht.« Lapidius setzte umständlich seine Kappe wieder auf. »Und wie du siehst, tue ich das j etzt. Und ich tue es gern.«
    »Hm. Wenn Ihrs geschafft habt, kann ichs auch.«
    Lapidius lachte abermals leise. Sie hatte wie erhofft reagiert. Er schloss die Türklappe wieder zu und fuhr, bevor sie protestieren konnte, schnell fort: »Die Syphilis ist eine Krankheit, an der man nicht gottgewollt sterben muss. Gewiss, in den ersten Jahren nach ihrem Auftreten raffte sie die Menschen zu Zehntausenden hin, denn die Wissenschaft hatte noch keine wirksame Behandlung gegen sie entwickelt. Aber das änderte sich, als die Heilkraft des Hydrargyriums erkannt worden war. Man muss nur kämpfen, dann ist die Syphilis zu besiegen.«
    Lapidius war sich bewusst, dass seine Ausführungen nur zum Teil der Wahrheit entsprachen, denn es gab unzählige Kranke, die gekämpft und verloren hatten, aber er hielt es für besser, das zu verschweigen. Nach seinen Schätzungen überlebten nur vier von zehn Kranken die Kur, und von diesen vier gesundete höchstens einer ganz. Dass er selbst dazugehörte, kam ihm wie ein Wunder vor, und er wünschte nichts sehnlicher als den gleichen Heilerfolg für seine Patientin.
    »Ich will mein Haar nicht verlieren.«
    »Du wirst es verlieren.« Eingedenk seiner Erfahrungen mit ihr wollte er nichts beschönigen. »Aber es wird nachwachsen wie bei den meisten Patienten. Nur in ganz wenigen Fällen, wie bei mir, geschieht es nicht. Im Übrigen kann sich glücklich schätzen, wer bei der Behandlung nur seine Haare einbüßt.«
    »Wieso?«
    Lapidius biss sich auf die Lippen. Freyja war zwar stark, aber es war besser, wenn sie nicht alles wusste.
    Nach einer Weile, er dachte schon, sie sei wieder eingeschlafen, sagte sie: »Komischer Name, Syphilis. Ich kenn nur ›Franzosenkrankheit‹.«
    »Wenn es dich interessiert, verrate ich dir, wie der Name entstanden ist.«
    »Ja.«
    Das klang nicht sehr wissenshungrig, aber er nahm es als Aufforderung. Vielleicht war es ganz gut, ihr darüber zu erzählen, weil es sie von den Schmerzen ablenkte. »Ein italienischer Arzt namens Fracastoro beschrieb vor siebzehn Jahren die Anzeichen der Franzosenkrankheit. Er tat es in einem Ge dicht mit dem Titel Syphilidis, sive morbi gallici libriI . Seit her setzt sich die Bezeichnung Syphilis immer mehr durch.«
    »Ein Krankheitsgedicht? Nie gehört.«
    »Es handelt sich um ein

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