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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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    ECHSTER
BEHANDLUNGSTAG
    Lapidius saß schnarchend auf seinem Lieblingsstuhl. Er hatte die Nacht darauf verbracht, nachdem er am Abend zuvor wieder einmal über der Arbeit eingeschlafen war. Vorher hatte er sich mit dem Großen Werk beschäftigt. Er hatte eine Reihe alchemistischer Nebenreaktionen geprüft, zu deren Herbeiführung ein kleiner Alambic nicht vonnöten war. Doch das Werk war ihm nicht gut von der Hand gegangen. Immer wieder waren seine Gedanken bei der unbekannten Toten gewesen und bei der Frage, wer sie ermordet hatte. Schließlich, gegen Mitternacht, waren ihm die Augen zugefallen.
    »Herr, essis schon helllichter Tach!« Marthe stand in der Tür, einen Silberleuchter putzend. »Wollt Ihr nich aufstehn?«
    Lapidius gab ein Grunzen von sich, schluckte, schniefte und öffnete blinzelnd die Augen. »Großer Gott, es ist ja schon ganz hell!«
    »Sach ich doch, Herr. Ich hab Pfefferpilze un Speck inner Pfanne. Wie wärs damit?«
    »Sehr gut.« Lapidius musste erst zu sich kommen. »Pfefferpilze und Speck, ja, sehr gut, sehr gut. Äh … halt, Marthe, bring die Speise noch nicht, ich will mich erst waschen.«
    »Is recht.«
    Wenig später saß Lapidius an seinem Experimentiertisch und ließ es sich schmecken. Die Pilze waren im vergangenen Herbst von Marthe eigenhändig gesammelt, getrocknet, kühl verwahrt und nun wieder gewässert worden. In Bauchspeck gebraten und stark gepfeffert, waren Morcheln, Ritterlinge und Edelreizker ein wahrer Gaumenschmaus.
    Der Tag versprach schön zu werden. Sonnenstrahlen fielen durch die Fenster und brachen sich vielfach im Glas seiner Geräte. Frühlingsluft überdeckte den Geruch nach Sulfur und Metallum. »Marthe?«
    »Ja, Herr? Schmeckts, Herr? Wollt Ihr noch was? Ich hätt noch ne Putterpomme.«
    »Nein, ich bin satt.« Ein Aufstoßen unterdrückend, schob Lapidius den Teller von sich und tunkte abschließend Brot in sein Bier. »Wie geht es Freyja? Ist die Schmierschicht noch intakt?«
    »Ja, Herr, is intakt.«
    »Hast du den Schlüssel zur Türklappe bei dir?«
    »Nee, Herr, aber ich hol ihn ausser Wand.« Die Magd übergab das Gewünschte. »Freyja ratzt noch tief un fest. Hab ihr gestern Abend was von dem Trankili… Trankidingsda gegeben.«
    »Du meinst, von dem Tranquilium, das ich öfters herstelle?« »So isses.«
    »Großer Gott! Du hättest mich vorher fragen müssen!« Lapidius schnellte von dem Stuhl hoch. »Wie viel hast du ihr verabreicht? Doch hoffentlich nicht zu viel?«
    »Nee, nee, Herr, wie immer.«
    Aufs Äußerste beunruhigt, eilte Lapidius die Treppe zum Oberstock empor, wobei er fast über seine langen Beine gestolpert wäre. Er spähte durch die Türöffnung und sah seine Patientin leblos daliegen. »Freyj a, Freyj a! « Er sperrte auf und rüttelte sie an der Schulter. Ihr Körper gab willenlos nach. »Freyj a, Freyj a, so höre doch! «
    Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, bewegte sie sich.
    »Gott sei Dank!« Er war so froh, dass er nicht einmal mehr daran dachte, Marthe für ihr unbedachtes Handeln zu rügen. »Freyj a! «
    »Ich … ich …«
    »Wie geht es dir?«
    »Schlecht. Mir ist speiübel.« Mit einer matten Bewegung wischte sie sich über die Augen.
    Er hastete hinunter und holte einen halben Becher Brunnenwasser, den er ihr an die trockenen Lippen setzte. Dann nahm er ihren Arm, um nach dem Puls zu fühlen. Die Schläge waren schwach, aber regelmäßig. Seine Besorgnis ließ nach. Marthe schien doch nicht zu viel von dem Tranquiliuni gegeben zu haben. Er begann den Ausschlag zu untersuchen. »Ich weiß, du hast Kopfschmerzen, als wollte dir der Schädel zerspringen, und Gliederreißen, als lägst du auf dem Rad, aber sieh her: Der Pustelschorf blättert schon teilweise ab, und darunter ist die Haut wieder gesund. Das ist ein gutes Zeichen.«
    Lapidius war keineswegs sicher, ob er damit richtig lag, denn der Ausschlag war lediglich ein Symptom der Syphilis und sein Verheilen nicht gleichzusetzen mit einer Gesamtverbesserung, aber er wollte ihr Mut zusprechen. »Auch deine Daumennägel machen Fortschritte. In dir stecken starke Heilungskräfte.«
    »Welcher Tag ist heut?«
    »Sonntag. Hörst du die Glocken läuten? Der Gottesdienst in St. Gabriel beginnt gleich.« Sie blickte ihn an, und ihre Augen hatten an diesem hellen Morgen wieder die Farbe von Vitriol. Er fühlte Unsicherheit. »Äh … j a, Gottesdienst. Ich nehme selten daran teil, weißt du, eigentlich nie.« Das stimmte in der Tat und lag daran, dass sein

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