Die Hitzkammer
Bierfahne auszuweichen. »Äh … sehr schön.«
Der Alte ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm fallen und machte eine einladende Geste. Als Lapidius ebenfalls Platz genommen hatte, hielt er ihm den Krug unter die Nase. »Nimm auchn Schl… Schluck, Kumpel.«
Lapidius schob das Trinkgefäß mit der Hand zurück. »Nein, danke. Ich hätte lieber Wasser.«
»Wasser? … Pöhhh … Was… Wasser habich nich … habich nich, hupps.« Holm zuckte mit den Schultern, nahm selbst einen gewaltigen Schluck und sackte dann übergangslos zur Seite, den Krug noch immer wie eine Trophäe hochhaltend.
Lapidius staunte. Einem derart seltsamen Menschen war er sein Lebtag nicht begegnet, und er war weit in der Welt herumgekommen. Holm schnarchte j etzt in einer Lautstärke, die Tote erwecken konnte. Er nahm dabei eine Haltung ein, in der wohl nur Sturzbetrunkene schlafen können: halb liegend, halb sitzend, wobei der Oberkörper auf dem Baumstamm lag und die Beine dazu im rechten Winkel nach unten abstanden, die Füße akkurat nebeneinander gestellt.
Lapidius erhob sich und wand dem Alten den Krug aus der Hand. Dann machte er sich daran, den Mann aus dem Land der Träume zurückzuholen. Doch alles, was er versuchte, war vergebens. Holm schlief wie ein Toter. Lapidius kam zu der Überzeugung, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als eine Weile zu warten. Er betrat die Hütte. Drinnen empfing ihn ein Anblick aus Dreck und Verwahrlosung. Es roch nach Schweiß und Exkrementen. Lapidius rümpfte die Nase und wäre am liebsten wieder gegangen, aber die Hoffnung, irgendwo Wasser zu finden, ließ ihn bleiben. Sein suchender Blick erfasste einen Strohsack, schmutzig und löchrig und sicher von Flöhen durchsetzt; davor stand eine Kiste, die als Tisch diente, darauf ein Kerzenstummel sowie Stahl und Stein zum Feuerschlagen. Ein paar Kleider hingen an der Wand, daneben Drahtschlingen, die als Fallen Verwendung finden mochten.
In einer Ecke, halb umgekippt, lag ein hölzerner Kübel. Lapidius nahm ihn auf, aber kein einziger Wassertropfen befand sich darin. Enttäuscht suchte er weiter. An anderer Stelle entdeckte er Asche und verkohltes Holz, das musste die Feuerstelle sein.
Lapidius trat wieder ins Freie. Der Durst quälte ihn. Es hatte keinen Zweck, er musste irgendetwas trinken, und wenn es Bier war. Er griff zum Krug und nahm einen kleinen Schluck. Das Zeug schmeckte schwer und würzig. Es rann die Speiseröhre hinunter, breitete sich aus und wärmte den Magen. Lapidius stellte fest, dass er schon Schlechteres getrunken hatte. Er nahm einen weiteren Schluck. Das Wohlsein verstärkte sich. Er ließ sich neben dem Alten nieder und spürte, wie seine Glieder erschlafften. Der Kopf kippte ihm vornüber, und für einige Augenblicke übermannte ihn der Schlaf. Er riss sich zusammen, blinzelte, wollte wach bleiben, doch die Erschöpfung war stärker. Wieder fiel sein Kopf herab, und diesmal blieb er unten.
Als er wach wurde, wusste er nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber die Erfahrung langer Experimentiernächte sagte ihm, dass es durchaus ein oder zwei Stunden gewesen sein konnten. Holm neben ihm schnarchte noch immer, wenn auch leiser und weniger angespannt. Lapidius stand auf, nahm den Bierkrug und kippte den Inhalt aus. Dann rüttelte er den Alten unsanft an der Schulter.
»Ja so, hupps, dammich noch mal, was … Wer bistn du?« Lapidius atmete insgeheim auf. Holm war nicht nur wach
geworden, er schien auch wieder halbwegs nüchtern zu sein. Lapidius stellte sich nochmals vor und erwähnte, dass sie
sich bereits kannten.
»Hmso, Lapidius, hupps«, sagte der Alte und blickte auf seine Rechte, in der sich kein Krug mehr befand. »Gottsakra, habichn Nachdurst.« Ohne seinen Gast weiter zu beachten, schlurfte er in seine Behausung, kam mit dem Holzkübel wieder hervor und verschwand im Wald. Lapidius, der annahm, dass Holm Wasser holen wollte, richtete sich auf eine längere Wartezeit ein, war aber umso angenehmer überrascht, als der Alte schon wenig später wieder auf der Bildfläche erschien. »Quellwasser«, erklärte er, »was Bessres gibts nich gegen Brand.« Suchend blickte er sich um und entdeckte den Krug. »Schon wieder, hupps, alle«, stellte er bedauernd fest, nachdem er hineingeäugt hatte. »Na, macht nix, will sowieso nich mehr saufen, jedes Mal nehm ichs mir wieder vor.«
Er goss aus dem Kübel Wasser in den Krug, und Lapidius kam es vor, als habe er niemals ein köstlicheres, frischeres Geräusch gehört.
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