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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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anhören. Er blieb stehen und verschnaufte. Sein Blick fiel auf eine Hauswand, an der sich eine Kletterrose emporrankte. Ein gebeugtes Mütterchen stand davor und schnitt verholzte Zweige ab. Nun gut, sie sollte die Letzte sein, die er um Auskunft bat. Ohne sich etwas davon zu versprechen, ging er auf sie zu und stellte die Frage, die er schon hundertmal gestellt hatte.
    Das Mütterchen legte den Kopf schief und äugte zu ihm empor. Es war runzlig wie eine Walnuss. »Eine Ziege mit abben Hörnern, jaaa … Eine Ziege mit abben Hörnern, jaaa …«
    Lapidius räusperte sich. »Richtig, mit abgesägten Hörnern. Lasst Euch nur Zeit. Überlegt genau.«
    »Jaaa. Jahaaa.« Die Alte kicherte. »Essis zu lustich, wie der Bock vom Nichterlein rumläuft, hihi!«
    »Wollt Ihr damit sagen …?« Lapidius glaubte, sich verhört zu haben. »Ihr habt wirklich einen Bock ohne Hörner gesehen?«
    »Hihi, jahaaa. Beim Hans Nichterlein, heut Morgen wars.«
    Lapidius’ Herz begann hart zu schlagen. »Wo wohnt dieser Nichterlein?«
    Die knotige Hand der Alten zeigte auf ein bescheidenes Haus ganz in der Nähe. »Da isses. Aber Nichterlein is nich da. Is noch nich vom Markt zurück. Verkauft Knöpfe, weil er doch Knopfmacher is. Isses wichtig mit dem Bock un den Hörnern?«
    »Danke, äh … ja.« Lapidius war so froh über die Antwort, dass er dem Mütterchen ein Geldstück in die Hand drückte.
    Wie sich herausstellte, war Nichterlein tatsächlich nicht im Haus, denn auf Lapidius’ Klopfen hin meldete sich niemand. Er überlegte kurz und ging dann nach hinten auf den Hof, wo er einen altersschwachen Verschlag entdeckte. Die Tür war mit einem Vorreiber gesichert. Er drückte ihn nach oben und musste sich anschließend gehörig bücken, um hineinschlüpfen zu können. Als seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, entdeckte er den Bock. Er stand mit zwei Ziegen in einer Ecke und kaute mit mahlenden Kiefern Stroh. Es war ein großer, kräftiger Bock, und er hatte – keine Hörner.
    Lapidius wusste nicht, wie man mit Ziegen umging, deshalb näherte er sich dem Tier behutsam, dabei beruhigende Worte ausstoßend, die er eigentlich an sich selbst hätte richten müssen, denn das Herz schlug ihm bis zum Hals. Seine Vorsicht jedoch war unnötig. Der Bock ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und kaute gemächlich weiter. »Zeig doch mal deine Hornstümpfe«, sagte Lapidius und fuhr mit der Hand über die beiden runden Flächen. »Ah, ich merke schon, an dir wurde herumgesägt, das trifft sich gut. Denn meine Hörner wurden ebenfalls abgesägt. Wollen doch mal sehen, ob sie passen.« Er wollte sie hervorholen, doch ein Laut ließ ihn herumschnellen.
    In der Tür stand ein Mann. Er war von kleinem Wuchs, wirkte aber zu allem entschlossen, wie der schwere Knüppel in seiner Hand bewies. »Was habt Ihr hier verloren?«, knurrte er.
    »Ich, äh …« Lapidius fiel darauf nichts Gescheites ein. Schließlich sagte er: »Seid Ihr Meister Nichterlein?«
    »Allerdings.« Der Hausherr sprach mit überraschend tiefer Stimme. »Beantwortet meine Frage, oder ich lasse den Stock auf Eurem Rücken tanzen!« So klein Nichterlein war, unter Selbstzweifeln litt er nicht.
    Noch immer wusste Lapidius nicht, was er dem Mann antworten sollte. Schließlich konnte er ihn nicht einfach des Mordes an einer Unbekannten bezichtigen. »Nun, äh … Meister Nichterlein, Eure Erzeugnisse genießen einen ausgezeichneten Ruf, und da ich gerade ein paar neue Knöpfe brauche, schaute ich bei Euch vorbei. Ich klopfte und rief, aber Ihr schient nicht daheim zu sein. Nun, äh … ich wollte ganz sichergehen und habe deshalb auch hier im Verschlag nachgeschaut. Es hätte ja sein können, dass Ihr gerade Eure Ziegen füttert.«
    »Wenn Ihr Knöpfe wollt, hättet Ihr nur zum Markt gehen müssen. Da stehe ich jeden Montag und Freitag.« Nichterlein klang schon halb besänftigt.
    »Ich schätze den Markt nicht so sehr. Zu laut ist es dort, zu viel Trubel, wisst Ihr.«
    »Hm, hm.« Nichterlein betrachtete im Zwielicht die Knöpfe an Lapidius’ Wams. »Ihr braucht in der Tat ein paar neue. Kommt mit ins Haus, dort ist meine Werkstatt. Vielleicht habe ich passende zur Hand.«
    »Ja, gern«, sagte Lapidius, der sich alles andere als neue Knöpfe wünschte.
    Wenig später hielt der Meister ein Exemplar probehalber an. »Der hier würde passen, aber ich habe davon nicht genügend da.«
    »Ach«, sagte Lapidius.
    »Versuchen wir es mal mit diesem. Der ist hübsch. Meint Ihr nicht

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