Die Hitzkammer
gewesen: Irgendwo, bei irgendeinem Besitzer, würde er in Schwierigkeiten geraten. Ja, sie bedrohten ihn auf indirekte Art! Und sie durchschauten jeden seiner Gedankengänge.
Lapidius spürte die Hörner in seiner Tasche, und es war ihm, als wären sie glühendes Eisen. Er dachte, dass er sie am liebsten los wäre. Vielleicht sollte er sie Krabiehl geben, damit dieser weitere Nachforschungen anstellte, aber das verbot sich natürlich von selbst. Er hatte dem Büttel gesagt, er wisse nicht, wo der Frauenschädel sei, und weil das so war, konnte er j etzt schlecht mit den Hörnern zu ihm gehen.
Eine vertrackte Sache. Doch er hatte sie nun einmal begonnen, und er würde sie auch zu Ende führen.
Hammerschläge unterbrachen seine Gedanken. Er war vor seinem Nachbarhaus angekommen. Die Laute drangen aus Taufliebs Werkstatt. Tauflieb, der schroffe Mann. Auch er besaß einen Ziegenbock. Das Tier stand hinten auf dem Hof in einem Holzverschlag. Ob es ebenfalls hornlos war? Lapidius beschloss, das herauszufinden. Da ihm kein vernünftiger Grund einfiel, warum er den Schlossermeister bitten konnte, einen Blick auf seinen Bock werfen zu dürfen, versuchte er es so. Er schlich ums Haus herum und spähte durch eine Bretterritze in den Stall.
Der Bock war gesägt.
Lapidius hatte genug gesehen und wandte sich ab. Was bedeutete das? Dass Tauflieb zu den Filii Satani gehörte? Vielleicht ja. Vielleicht aber auch nein. Einer ganzen Reihe von Ziegenbesitzern waren die Tiere verunstaltet worden, und nicht jeder konnte ein Mörder sein. Zu ihnen mochte Tauflieb zählen. Oder auch nicht.
Mit diesen Überlegungen wollte Lapidius durch die Johannisbeersträucher auf seinen eigenen Hof hinüber schlüpfen, doch er hatte die Rechnung ohne den Bock gemacht. Der nämlich hatte gemerkt, dass etwas in seiner Umgebung nicht stimmte, und begann nun lauthals zu meckern. Schnell versuchte Lapidius zu entwischen. Doch nicht schnell genug.
»Was habt Ihr hier zu suchen?«, hörte er Taufliebs Stimme hinter sich.
»Ich bins nur«, erklärte Lapidius lahm.
»Ich sehe es. Und?« Der Meister schien keineswegs gewillt, seine Frage zurückzuziehen.
»Ich … äh, ich wollte Euch nur fragen, ob Ihr für das Schloss im Oberstock meines Hauses einen zweiten Schlüssel habt.«
Tauflieb verschränkte die Arme. »Nein, habe ich nicht. Wollt Ihr einen?«
»Äh … nein. Wenn ich es recht bedenke, brauche ich doch keinen. Nichts für ungut. Und einen schönen Tag noch.« Lapidius lachte verlegen, drehte sich um und schlüpfte zwischen den Sträuchern hindurch.
In seinem Rücken spürte er Taufliebs Blick.
ZWÖLFTER
BEHANDLUNGSTAG
Lapidius kam die Treppe aus dem Oberstock herab. Er hatte nach Freyja gesehen, die an diesem Morgen wieder von starken Gelenkschmerzen geplagt wurde. Auch die qualvollen Koliken waren erneut über sie hergefallen. Und zu allem Unglück hatte sie weiteres Haar verloren. Ganze Büschel waren in Lapidius’ Fingern hängen geblieben, als er ihren Kopf angehoben hatte, um ihr den Weidenrindentrank einzuflößen. Er hoffte, die Arznei würde bald Wirkung zeigen. Wenn nicht, musste das braune Fläschchen mit dem Laudanum nochmals herhalten. Allerdings: Es barg nur noch wenig von dem helfenden Saft.
»Marthe! Marthe?« Er trat in die Küche. »Da bist du ja. Wie geht es deiner Mutter? Hat ihr das gebratene Brüstchen gestern gemundet?«
Die Magd war an diesem Tag wieder sehr verschlossen. Sie stand vor einem Bottich mit Wasser und spülte irdenes Geschirr. Endlich bequemte sie sich zu einem »Ja, Herr«.
Lapidius überging das unziemliche Benehmen. »Und was macht das Zipperlein? Plagt es die Mutter noch?«
»Ja, Herr, schlimm isses.«
»Dann solltest du nach ihr sehen. Gleich jetzt. Ich brauche dich heute Vormittag nicht.«
»Ja … aber, aber, ich hab noch nix gekocht.«
»Geh nur.« Lapidius schob die Magd mit sanfter Gewalt aus der Tür.
Wenig später war Marthe fort, und Lapidius hatte den Frauenschädel wieder hervorgeholt. Sein Zustand hatte sich nicht verschönert. Und sein Geruch auch nicht. Doch es half nichts, er musste die Untersuchung zu Ende führen. Schließlich konnte er den Kopf nicht für alle Zeiten in der Vorratsgrube verwahren. Am besten, er würde ihn noch heute zu Krott bringen, in einem abgeschlossenen Kasten. Der Totengräber würde ein paar Kreuzer bekommen und den Kopf beerdigen. Ohne viel zu fragen.
Voller Ekel betrachtete Lapidius den Halsstumpf mit seinem Wirrwarr aus Knochen, Fleisch und
Weitere Kostenlose Bücher