Die Hitzkammer
Brüstchen denn fertich ham?«
»Brüstchen? Welches Brüstchen? Ach so, ja.« Gerade noch rechtzeitig war Lapidius eingefallen, welche Speise er sich gewünscht hatte. »Lass dir nur Zeit damit. Ich muss ohnehin noch einmal fort. Wann ich zurück bin, weiß ich nicht.«
Kaum hatte er das gesagt, wurde ihm bewusst, welchen Fehler er gemacht hatte. Die Reaktion der Magd kam prompt:
»Herr, oh Herr, so geht das nich! Gott is mein Zeuge, ich dien Euch gern, j edenfalls meistens, abers Essen wird alleweil schlecht, weil Ihr nie nich da seid, wenns aufn Tisch kommt. Ogottogott! «
»Schon gut, Marthe, sollte ich nicht rechtzeitig da sein, nimmst du das Brüstchen für deine Mutter mit.«
Lapidius machte, dass er aus der Tür kam.
Wenig später befand er sich auf dem Weg durch die Stadt. Abermals, wie schon am Morgen, ging er an den Fischteichen vorbei bis zum Altenauer Eck. Hier standen einige Bänke, und trotz des frischen Windes, der um die Hausecken pfiff, setzte er sich. Er musste seine Gedanken ordnen. Denn bevor er sich von Marthe verabschiedet hatte, war ihm eine Idee gekommen. Eine sehr einfache: Wenn es ihm gelang, einen Ziegenbock mit abgesägten Hörnern ausfindig zu machen, war er womöglich schon am Ziel – bei den Mördern der unbekannten Frau.
Die Schwierigkeit war nur, dass er nicht wusste, wo er seine Suche beginnen sollte. Es gab Ziegen von beträchtlicher Zahl in Kirchrode, in Ställen und Verschlägen, auf Höfen und Grasflächen, j a manch einer teilte sogar die Kammer mit ihnen. Vielleicht, überlegte er, war es am einfachsten, sich von der Stadtmauer aus kreisförmig nach innen vorzuarbeiten. Eine Methode, die den weiteren Vorteil hatte, dass er dort anfing, wo die Häuser nicht so dicht gedrängt standen und das Gelände übersichtlicher war. So weit, so gut. Voller Tatendrang stand er auf und strebte dem Stadtgürtel zu, wobei er scharf nach Ziegen Ausschau hielt. Doch schon nach wenigen Schritten merkte er, dass er einem Trugschluss aufgesessen war. Nirgendwo ließ sich ein solches Tier blicken, allenfalls ein Meckern war hier und dort zu hören. Kein Wunder, sagte er sich, ich befinde mich in der Stadt und nicht auf dem Land. In der Stadt leben die Tiere meist in geschlossenen Ställen, damit sie nicht fortlaufen.
Er musste es anders anfassen. Er musste zu den Leuten gehen und sie nach ihren Ziegen fragen. Aber wie? Er konnte schlecht sagen: Guten Tag, habt Ihr eine Ziege mit abgesägten Hörnern? Nein, so ging es nicht. Kurz entschlossen schritt er auf das nächste Haus zu und klopfte. Eine Magd mit zerknautschter Haube und missmutiger Miene öffnete ihm. Lapidius entbot die Tageszeit und setzte sein freundlichstes Lächeln auf: »Ich bin Wissenschaftler und brauche für meine Versuche die Hornspäne eines Ziegenbocks.«
»Ah, äh?«, machte die Magd.
»Deine Herrschaft hat doch Ziegen?«
»Nö.« Sie schlug die Tür zu.
Lapidius stand da und bemühte sich, seines Ärgers Herr zu werden. Wer dumm fragte, bekam dumme Antworten. Trotzdem: Wie ein Hausierer wollte er sich nicht abspeisen lassen. Er klopfte erneut.
Wieder erschien die Magd. Sie wollte etwas sagen, aber Lapidius kam ihr zuvor. »Wenn es in diesem Haus keine Ziegen gibt, weißt du wenigstens, wer hier in der Gasse welche hält?«
»Ah, äh?«, machte die Magd erneut. Sie hatte das Pulver nicht erfunden. Doch dann schien sie die Frage verstanden zu haben. Sie deutete auf mehrere Häuser und nannte die Namen der Familien.
Lapidius merkte sie sich. »Hast du zufällig gesehen, ob eines der Tiere mit abgesägten Hörnern herumläuft?«
»Ah, äh?«
»Es ist gut. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.« Lapidius’ Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Er sagte sich, dass nicht jede Magd so begriffsstutzig war; überdies konnte er viel Zeit sparen, wenn er sich vorher erkundigte, wer Ziegen hielt und ob eine darunter keine Hörner hatte. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Gefragten nichts Ungewöhnliches bemerkt hatten, aber dem wollte er begegnen, indem er möglichst viele Menschen ansprach.
Genau so verfuhr er in den nächsten Stunden. Es war ein mühseliges Geschäft, und oftmals holte er sich, trotz seiner standesgemäßen Kleidung, eine herbe Abfuhr. Wie ein Bettler kam er sich vor. Die Kirchroder gehörten nicht zu den Hilfreichsten im Harz. Irgendwann am späteren Nachmittag hatte er es satt. Er wollte aufgeben. Keinen Schritt wollte er mehr gehen und sich auch keine dummen Bemerkungen mehr
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