Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
möglich, der Knopfmacher hatte mit alledem nichts zu tun, aber Angst, in den Mord hineingezogen zu werden. Lapidius merkte, wie seine Gedanken sich wieder einmal im Kreise drehten, und seufzte. Wenn man es genau nahm, hatte er nichts wirklich Greifbares dazugewonnen.
    Nur sechzehn gelbe Seidenknöpfe.
    Der Dritte Sohn des Teufels hatte den großen, hageren Mann, von dem er wusste, dass er Lapidius hieß, in Richtung Altenauer Eck gehen sehen. Nun musste er sich sputen, wenn das, was ihm vom Ersten Sohn des Teufels aufgetragen worden war, noch klappen sollte. Denn die Augen seines Meisters waren überall. Er hastete durch Parallelgassen, kam zum Eck und strebte von hier aus zu den Fischteichen, an deren Ufern einiges Gras wuchs. Das schnelle Laufen fiel ihm schwer, denn er zog den linken Fuß nach. Doch schließlich war er am Ziel: dem bescheidenen Holzhaus des Fischwächters. Aufmerksam spähte er nach allen Seiten. Nachdem er sicher war, dass keine Gefahr bestand, öffnete er den Stall und zog einen Ziegenbock hervor. Der Bock sträubte sich zunächst, doch als er das frisch sprießende Gras roch, ging er mit.
    Der Dritte Sohn des Teufels band das Tier an einen Pfahl am Wasser, damit es sich nicht weiter entfernte. Dann verschwand er hinter einigen Weidenbüschen. Kaum hatte er seinen Posten bezogen, da erschien auch schon der große, hagere Mann. Er ging mit langen Schritten zur Hofgasse und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Doch dann sah er den Bock. Und blieb wie angewurzelt stehen.
    Der Dritte Sohn des Teufels freute sich, denn er wusste: Nun hatte er sich ein Lob verdient.
    Lapidius wischte sich die Augen, aber das Bild vor ihm blieb: Er sah einen Ziegenbock, der keine Hörner trug. Einen zweiten! Im ersten Augenblick hatte er gedacht, es sei Nichterleins, aber dieser dort war kleiner und jünger. Er trat auf das Tier zu, das friedlich an den Halmen zupfte. Kein Zweifel, auch seine Hornstümpfe zeigten Sägemerkmale. Er tastete in den Taschen nach den Hörnern, um wenigstens hier die Probe aufs Exempel zu machen, als plötzlich ein Mann mit rudernden Armen auf ihn zustürzte. Es war ein älterer, mit einer Fischschürze bekleideter Mann, und er rief: »Das ist mein Bock, Herr! Was habt Ihr mit ihm zu schaffen? Wie kommt Ihr überhaupt dazu, ihn aus dem Stall … Ooohh! «
    Der Alte hatte die Stümpfe entdeckt. Eine Verwandlung, ähnlich wie bei dem Knopfmacher, ging in ihm vor. »Ja, seid Ihr denn des Wahnsinns? Ihr müsst mir den Schaden ersetzen!«
    »Ich habe nichts mit Eurem Bock angestellt.«
    »Aber Ihr habt doch da an seinem Kopf herumgefummelt! «
    Lapidius wollte seine Hörner hervorziehen, um zu erklären, was er beabsichtigt hatte, doch dann ließ er es bleiben. Wenn sie passten, würde kein Mensch der Welt ihm glauben, dass er sie nicht abgeschnitten hatte – am wenigsten der Alte. Und wenn sie nicht passten, was durchaus sein konnte, da es ja mittlerweile zwei Böcke mit kahlen Köpfen gab, würde er als jemand dastehen, der ein anderes Tier verunstaltet hatte. Welch eine Zwickmühle! »Ich kam nur zufällig vorbei und wunderte mich über den Anblick«, sagte Lapidius und wusste, wie unglaubwürdig seine Worte klangen. »Ich muss nun weiter.«
    Rasch ging er fort, ohne auf die Proteste des Besitzers zu achten. Ein paar Schritte weiter schreckte er zusammen. Er hatte ein durchdringendes Meckern neben sich gehört. Es stammte von einem Ziegenbock ohne Hörner. Diesmal blieb er nicht stehen, sondern ging rasch weiter. Seine Erfahrungen mit Ziegenbock-Besitzern reichten ihm für heute. Langsam dämmerte es ihm: Wer auch immer den Frauenkopf mit den Hörnern präpariert hatte – er hatte damit gerechnet, dass Lapidius ihrer Herkunft nachgehen würde, und deshalb anderen Böcken ebenfalls die Hörner abgenommen. Verschleierung durch Vervielfältigung!
    Auf seinem Weg in die Böttgergasse sah er noch zwei weitere hornlose Böcke, und er fühlte es fast körperlich: Irgendwo in seiner Nähe war das Böse, das ihn zum Narren hielt. Hinter ihm, vor ihm, neben ihm. Das Böse, das nicht nur Freyja bedrohte, sondern auch ihn selbst. Und das Abgefeimte an der Bedrohung war, dass die Mörder sich niemals leibhaftig zeigten.
    Doch halt! Woher hatten sie eigentlich wissen können, dass er ausgerechnet zu Nichterlein gehen würde? Er hatte es doch vorher selbst nicht geahnt? Darauf gab es nur eine Antwort: Sie hatten es nicht gewusst. Aber sie hatten viele Böcke präpariert. Und sie waren sicher

Weitere Kostenlose Bücher