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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nach unten und holte die vorbereitete Brühe. Sie war inzwischen genügend abgekühlt. Eigentlich sollte sie heiß sein, damit sie zusätzlich zum Schwitzen beitrug, aber Freyja mit ihrem wunden Gaumen war nicht in der Lage, die Flüssigkeit so aufzunehmen. Als auch die Brühe verabreicht war, sagte er: »Ich gebe dir noch etwas Kalkpulver auf die Lippen. Mach den Mund auf.« Sie gehorchte.
    Er bog ihre Lippen nach außen und betrachtete sie genau. Was er erwartet hatte, war eingetreten. Neben den Geschwüren, die sich überall breit machten, hatte sich der Zahnsaum blau verfärbt. Bald würden Freyja die ersten Zähne ausfallen.
    Sie bewegte den Mund und wollte etwas sagen.
    »Halt still.« Er gab das Kalkpulver auf die äußeren Geschwüre. »Die schorfigen Pusteln im Gesicht und am Körper sind fast gänzlich abgeheilt, und deine Daumennägel machen ebenfalls einen guten Eindruck. Wie stehts mit den Kopf- und Leibschmerzen?«
    »Heut gehts. Bin nur furchtbar schlapp.«
    »Schön.« Er bettete ihren Kopf so, dass er bequem auf der Strohmatratze lag. Als er die Finger fortnahm, bemerkte er, dass eine blonde Strähne daran haften blieb. Die ersten Haare gingen ihr aus. Viele, wenn nicht alle, würden folgen. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich sehe später noch einmal nach dir. Zur Nacht bringe ich dir wieder dein Licht.«
    »Bleibt. Bitte.«
    »Nein.« Er dachte an den Kopf, der seiner Untersuchung harrte. »Ich habe Dringendes zu erledigen.«
    »Ja.« Sie wandte sich ab. Ihre Stimme klang enttäuscht. »Glaub mir, ich habe wirklich keine Zeit.«
    Sie antwortete nicht mehr.
    Er zuckte mit den Schultern, schloss die Türklappe ab und ging hinunter, vergebens gegen sein schlechtes Gewissen ankämpfend.
    Bald darauf jedoch hatte er Freyja vergessen, denn wieder saß er am Experimentiertisch, den Kopf vor sich. Er stellte fest, dass die Buchstaben F und S auf dieselbe Art in die Stirn geschnitten waren wie bei Gunda Löbesam. Das überraschte ihn nicht. Ob die Tote wohl den Geruch nach Bilsenkraut verströmte? Er nahm den Schädel auf und legte ihn mit dem Hinterkopf in ein kleines Dreibein. Dergestalt fixiert, fiel es ihm nicht schwer, die Zähne zu öffnen, zumal die Totenstarre sich schon gelöst hatte. Doch er war nicht sicher, ob er den typischen bitteren Duft wahrnahm. Andere Gerüche waren da, nach getrocknetem Blut, Schweiß, Feuchtigkeit. Und auch ein wenig nach – Süße. Wie bei zwei Tage altem Fleisch. Er schluckte. Speichel floss ihm im Mund zusammen, aber er unterdrückte den Brechreiz und versuchte es erneut. Nein, nichts. Vielleicht überdeckten die Gerüche das gesuchte Aroma.
    Er nahm den Kopf wieder aus dem Dreibein, wobei sein Unterarm eines der beiden Hörner streifte. Die Hörner! Er untersuchte sie und kam zu dem Schluss, dass es Ziegenhörner waren. Der Größe nach die eines Bocks. Er betastete sie. Sie saßen sehr fest, doch durch vorsichtiges Hin- und Herdrehen konnte er sie aus dem Stirnbein herauslösen. Sie waren ziemlich spitz und am anderen Ende abgesägt. Er hielt sie ins Licht – und wurde von einem Geräusch unterbrochen. Es war ein Schimpfwort, und es kam von draußen. Es folgte eine Reihe von Verwünschungen, die ihm bekannt vorkamen. Richtig, niemand anders als Marthe stand vor seiner Haustür. Sie war in einen Kothaufen getreten und versuchte nun, sich des Drecks zu entledigen – lauthals dabei ihr Pech beklagend.
    In fliegender Hast steckte Lapidius die Hörner in die Taschen seines Wamses, nahm den Kopf auf und eilte damit in die Küche, wo die Bodentür gottlob noch hochstand. So brauchte er nur wenige Augenblicke, um das Corpus Delicti wieder am alten Ort zu verstauen.
    »Habts wohl nich abwarten können, was, Herr? Aber dauern tuts nochn bisschen mitm Huhn.« Die Magd stand in der Küchentür, einen Korb in der Hand, aus dem der Hals des toten Federviehs hing.
    »Wie? Ach, Marthe, du bists.« Lapidius hatte noch mit knapper Not die Bodentür schließen können, stand aber nun halb aufgerichtet da.
    »Is was, Herr?« Die Magd runzelte die Brauen.
    »Nein, nichts.« Geistesgegenwärtig fasste Lapidius sich in die Seite und verzog das Gesicht. »Ein kleiner Hexenschuss, mehr nicht. Es geht schon wieder.«
    »Hexenschuss hatt meine Mutter auch mal, zwei Jahre isses glaubich her, war steif wien Brett, die Arme, konnt sich nich rücken un rührn …«
    »Ja, Marthe, mach nur das Huhn.«
    »Is gut.« Die Magd band sich eine Schürze um. »Wann sollich das

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