Die Hitzkammer
entgegen, denn so konnte er sich unbeobachtet am Waschzuber reinigen. Als er fertig war und sich angekleidet hatte, klopfte er an die Kammertür der Magd: »Marthe, bist du wach?«
Keine Antwort.
Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. In den letzten Tagen war so viel geschehen, dass er bei jeder Gelegenheit schon die Flöhe husten hörte. Er klopfte abermals. »Marthe!«
»Ja doch, wassis?«, erscholl es von drinnen.
»Gott sei Dank, ich dachte schon, dir wäre etwas passiert.« »Nee, nee. Hab doch die Schluckmadonna, Herr. Sollich mich eilen?«
»Nein, lass dir Zeit. Ich sehe derweil nach Freyja.«
Er nahm Wasser und Brühe vom Vortag und stapfte damit die Stufen empor. Vor der Türklappe setzte er beides ab und schloss auf. »Freyja?«
Sie lag in gekrümmter Haltung auf ihrer Strohmatratze, ihm den Rücken zukehrend. Er beugte sich hinab und fasste sie bei der Schulter. Erst j etzt hörte er ihr leises Wimmern.
»Freyj a, Freyj a, sage doch etwas.«
Sie fuhr herum, so plötzlich, dass er zurückschreckte. »Ich will nicht mehr, will nicht mehr! Halts nicht mehr aus!« »Ja, aber du weißt doch …« »Halts nicht mehr aus! Lasst mich raus, ich will raus, raus, raus, raus, raus …« Ihr Ausbruch ging in hemmungsloses Schluchzen über.
Lapidius war wie versteinert. Er kam sich vor wie der schlechteste Mensch auf Erden.
Und schon wieder flehte sie: »Helft mir! Lasst mich raus, bitte, bitte …«
Er fühlte Mitleid und Rührung und Hilflosigkeit zugleich. Er war schuld, dass sie dort lag. Er und kein anderer. Was sollte er nur sagen? »Was soll ich nur sagen?«, hörte er sich murmeln und wusste im selben Augenblick, dass seine Frage nicht mehr als eine Worthülse war.
Sie weinte weiter und kehrte ihm wieder den Rücken zu. Da ging er hinunter und holte das Laudanum.
Als er mit dem Medikament zurück war, sah er, dass sie sich wund gelegen hatte. An der Unterkante der Schulterblätter zeigten sich deutlich rote Druckstellen. Sicher bereiteten sie ihr große Pein. Ebenso wie die Gelenke, das Gedärm und die Geschwüre im Mund. Er sagte: »Ich habe dir Laudanum gebracht, du weißt doch, die Tropfen aus dem braunen Fläschchen.«
Sie reagierte nicht, sondern stieß nur immerfort leise, wimmernde Laute aus.
Lapidius spürte, dass es so nicht weiterging. Er gab sich einen Ruck. »Heul noch lauter«, sagte er dann, hoffend, dass sein Ton die nötige Schärfe aufwies, »heul noch lauter, damit alle dich hören! Flenne der Welt etwas vor, damit sie weiß, wie dreckig es dir geht. Gib dich auf, bemitleide dich, ertrinke in deinen eigenen Tränen! Dann brauche ich das kostbare Laudanum nicht an dich zu verschwenden. Ich kann es fortkippen, verschenken oder verkaufen, denn ich benötige es nicht mehr.«
Das Wimmern verstärkte sich immer mehr. Lapidius dachte schon, er hätte alles verdorben, da endete es abrupt. Sie drehte sich ihm wieder zu. »Gebt es mir«, flüsterte sie.
»Ja, gut.« Er war so froh über ihre Worte, dass er sich beim Abzählen fast vertan hätte. Doch letztendlich waren es genau zehn Tropfen, die er ihr zugestand. Keinen mehr. Heute war erst der dreizehnte Behandlungstag, und er wusste nicht, wie oft die segensreiche Arznei noch vonnöten sein würde. Ein guter Rest musste zurückbehalten werden.
Nachdem er ihr die Tropfen gegeben hatte, sagte er: »Zähle gemeinsam mit mir bis dreihundert. Du wirst sehen, dann geht es dir besser.« Sie taten es, und Lapidius vermerkte mit Genugtuung, wie die Beschäftigung sie mehr und mehr von den Beschwerden ablenkte.
Als sie fertig waren, sah sein geschultes Auge, dass ihr Körper sich entspannt hatte. Er jubelte insgeheim. »Nun, habe ich zu viel versprochen? Sind die Schmerzen fort?«
»Ja, leidlich.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Großartig. Du, ich … ich habe es vorhin nicht so gemeint.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich weiß.«
Lapidius zog sich die Truhe heran und begann Freyja mit Wasser und Brühe zu versorgen. Nachdem sie getrunken hatte, nahm er ihre Hand und prüfte den Austrocknungsgrad der Haut. »Du musst noch mehr Wasser trinken.« Er eilte hinab und brachte ihr einen weiteren Becher Brunnenwasser. Anschließend flößte er ihr den Rest der Brühe ein. Sie war kalt und fettig, aber Freyja versicherte, das sei halb so schlimm.
Dann machte er abermals die Faltenprobe. Diesmal fiel das Ergebnis zufrieden stellend aus. Freyja ließ die Hand ins Stroh zurücksinken, und er sagte wider besseres Wissen:
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