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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Schwingungsstöße erhalten.
    Doch es hatte sich nicht verändert.
    In der Folgezeit erhöhte und verlangsamte Lapidius die Umdrehungsgeschwindigkeit, änderte darüber hinaus die Drehdauer mehrmals und hielt alles peinlich genau fest. Bei der eintönigen Arbeit des Kurbeins glitten seine Gedanken immer wieder ab. Der Frauenkopf mit den beiden Hörnern stand ihm ständig vor Augen. Kein Zweifel: Da hatte jemand auf brutalste Weise deutlich machen wollen, dass Freyja einen Pakt mit dem Teufel eingegangen war – um sie erneut zu denunzieren und endgültig zu vernichten. Und ihn, Lapidius, gleich mit.
    Gleichmäßig surrte das Rad weiter. Das Quecksilber schwang im Alambic hin und her … Wo hatte der Tod die Frau ereilt? Da gab es viele Möglichkeiten. Die wahrscheinlichste mochte sein, dass es in unmittelbarer Nähe seiner Haustür geschehen war, dem Ort, wo ihr Kopf gehangen hatte. Dies vorausgesetzt, war es nur logisch, dass auch der Bock, dessen Hörner verwendet worden waren, aus der nächsten Umgebung kam. Und ein solches Tier gab es: Taufliebs Bock.
    Lapidius merkte nicht, dass er plötzlich viel zu schnell kurbelte. Tauflieb ein Mörder? Also doch! Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor. Alle Absonderlichkeiten des Mannes fielen ihm ein. Seine eigenbrötlerische Art, sein unhöfliches Wesen, sein Junggesellendasein und sein schwachköpfiger Hilfsmann Gorm. Gorm, den kein einziger Schlossermeister in Kirchrode hatte haben wollen – außer Tauflieb.
    Mechanisch drehte Lapidius das Rad weiter. Wenn der Meister es getan hatte, wo war dann der Rumpf der Toten? Zu jedem Kopf gehörte ein Körper, und wenn alles mit rechten Dingen zugegangen war, musste dieser sich auffinden lassen. Befand auch er sich in unmittelbarer Nähe? Lapidius’ Hand stockte. War er in Taufliebs Haus? Oder, welch unvorstellbarer Gedanke, gar in seinem eigenen?
    Lapidius hatte keine Ruhe mehr. Nichts war ihm auf einmal gleichgültiger als das dritte hermetische Prinzip zur Gewinnung von Gold. Er würde das ganze Haus durchsuchen. Sofort. Jede Kammer, j eden Winkel, j ede Ecke. Er würde das Unterste zuoberst kehren, und erst wenn er ganz sicher war, dass keine Leichenteile unter seinem Dach lagen, würde er wieder Frieden finden. Er sprang auf und setzte sein Vorhaben unverzüglich in die Tat um.
    Doch so sehr er sich in den nächsten Stunden auch bemühte, er fand nichts. Nirgendwo.
    Im Laufe der Zeit hatte sein Puls sich wieder normalisiert, und er konnte klarer denken. Wenn ein toter Körper in meinem Haus liegen würde, sagte er sich, dann hätte Krabiehl ihn vorgestern gewiss entdeckt. Warum bin ich nicht gleich daraufgekommen? Er beendete seine Nachforschungen und setzte sich, halbwegs beruhigt, wieder in sein Laboratorium.
    »Ogottogott! Gehts Euch nich gut, Herr?« Marthe stand in der Tür. Sie war von ihrer Mutter zurück.
    »Doch, doch. Ich habe nur etwas gesucht.«
    »Was gesucht? Wars wichtich? So wie Ihr dreinkuckt, Herr, wars wichtich!«
    »Nein, nein.« Lapidius wollte das Gespräch beenden. »Es hatte mit dem Frauenschädel zu tun.«
    »Waaas? Ja, was issen mit dem? Die ganze Stadt zerreißt sichs Maul drüber. Wo is der überhaupt?«
    Lapidius hätte sich selbst ohrfeigen können. Statt einfach eine Ausrede zu erfinden, hatte er bei der Wahrheit bleiben wollen und auf diese Weise schlafende Hunde geweckt. »Mach dir darüber keine Sorgen. Der Büttel jedenfalls weiß es nicht.« Er stand auf und begann seine Versuchsanordnung fortzuräumen.
    »Krabiehl? Nee, der weiß nix. Sonst hätt er mich nich gelöchert, wo der Kopp is, nich?«
    »Ja, ja. Nun kümmere dich um das Essen.«
    Doch Marthes Neugier war geweckt. Mit weiblicher Schläue fragte sie: »Vielleicht find ichs ja, Herr. Was isses denn? Sollich noch mal kucken?«
    »Nein.«
    »Wo habt Ihr denn gekuckt?«
    »Überall. Nun mach dich an die Arbeit.«
    »Ja, Herr. Neulich habich auch was gesucht, die große Kelle wars, die aus Kupfer, un nu ratet mal, wo ich die gefunden hab, inner Vorratsgrube wars, un …«
    Ein heißer Schrecken durchdrang Lapidius. Die törichte Magd brachte es fertig und stieg in sein Versteck hinab! »Los, nun ab mit dir, ich habe Hunger!«
    »Ja, Herr. Ich mach Putterpommen, das geht fix.«
    »Tu das nur.« Lapidius verfiel abermals ins Grübeln. Es war schwer, wenn nicht geradezu unmöglich, sich ein abschließendes Bild von Tauflieb zu machen. Vor ein paar Augenblicken war er noch sicher gewesen, in dem

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