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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Eimer Lehm.
    Auf seinen Hof zurückgekehrt, nahm er einen zweiten Topf, dessen Öffnung um ein Geringes kleiner war, und setzte ihn über den ersten, gerade so, dass Öffnung auf Öffnung saß. Anschließend dichtete er die Verbindungsstelle sorgfältig mit Lehm ab. Nun schichtete er unter dem Dreifuß leichtes Anmachholz auf und entzündete es. Mit einem Blasebalg brachte er alsbald ein prasselndes Feuer zustande – wobei er seinem Herrgott dankte, dass es nicht regnete.
    Mehrfach legte er Scheite nach, denn er wusste, es brauchte seine Zeit, bis das Zinnober das Hydrargyrium aushauchte, welches, durch die Asche hindurchdringend, in den oberen Topf wanderte. Von dort würde es sich, wenn alles gut ging, zu Kügelchen vereinigt auf der Asche des unteren Topfes niederschlagen.
    Und es gelang. Ein Gefühl des Triumphes durchströmte ihn, als er die Kügelchen aus reinem Quecksilber in der Asche blitzen sah. Sie jetzt noch zu verwaschen war nicht mehr schwer. Er hatte schon immer gewusst, wie Hydrargyrium hergestellt werden musste, aber niemals zuvor war es von ihm versucht worden.
    Die restlichen Schritte zur Gewinnung des Unguentums nahm er in seinem Laboratorium vor: Mit Hilfe des Athanors erhitzte er das Hydrargyrium dergestalt, dass rotes kristallines Quecksilberoxid entstand. Von ihm wusste er, dass es sich, ähnlich wie iodiertes Quecksilber, mit Wollfett zu einer Salbe verkneten ließ. Und: dass es zur Syphilisbehandlung taugte.
    Als er die Schmiere fertig hatte, ging er hinaus auf den Hof und wusch sich am Brunnen die Hände. Dann, wieder ins Haus zurückkehrend, rief er nach Marthe.
    »Wassis, Herr?«
    »Das neue Unguentum ist bereit. Reibe Freyja damit ein.«
    »Ich wollt grad zur Mutter, Herr.«
    »Nun gut, dann verschwinde in Gottes Namen. Aber bleib nicht zu lange. Die Kräfte des Quecksilbers müssen ständig präsent sein und durch die Haut eindringen.«
    »Is gut, Herr.« Marthe eilte davon. Lapidius, von der körperlichen Arbeit erschöpft, setzte sich auf seinen Lieblingsstuhl. Die hergestellte Menge Quecksilberschmiere würde bis zum Behandlungsende reichen und, so Gott wollte, dazu beitragen, Freyja gesund werden zu lassen. Die Frage war nur, ob ihr das noch viel nützte, wenn Richter Meckel und seine Schöffen sie zum Feuertod verurteilten. Schon deshalb musste Freyjas Unschuld bewiesen werden, und das zweifelsfrei.
    Der Frauenschädel, so viel stand fest, hatte ihn nicht wie erhofft weitergebracht. Zwar war er sich sehr klug vorgekommen, als er glaubte, die abgesägten Hörner und der dazugehörige Ziegenbock würden ihn wie von selbst zu den Mördern führen, doch die Wirklichkeit hatte ihn eines Besseren belehrt. Denn der Bock, selbst wenn er den richtigen ausfindig machte, war als Hinweis wertlos. Sein Besitzer musste nicht zwangsläufig der Mörder sein; j eder andere konnte die Hörner bei Nacht und Nebel abgesägt haben. Und selbst wenn der Besitzer es getan hatte, musste ihm das erst noch bewiesen werden. Was angesichts der zahlreichen hornlos herumlaufenden Böcke praktisch unmöglich war.
    In jedem Fall, überlegte Lapidius weiter, war einiges Geschick erforderlich gewesen, um die Hörner im Schädel zu verankern. Geschick und Werkzeuge. Nicht nur eine Säge, sondern auch ein Bohrer. Ein großer Bohrer, um die Löcher für die Hörner zu schneiden. Ihm lief ein Schauer über den Rücken, als er sich vorstellte, wie ein solches Gerät in das Stirnbein der Toten gedrungen war. Doch halt! Der Bohrer! Konnte er nicht eine Fährte sein?
    Lapidius sprang vor Erregung auf. Natürlich! Nicht j eder in Kirchrode besaß ein derartiges Werkzeug. Wenn man es genau nahm, sogar nur ganz wenige. Handwerker zum Beispiel, wie Zimmerer, Schmiede und Schlosser.
    Er setzte sich wieder und ordnete seine Gedanken. Er dachte an seine Niederlage bei den Ziegenböcken und wollte denselben Fehler nicht noch einmal begehen. Vorausgesetzt, er fand bei verschiedenen Handwerkern einen passenden Bohrer vor, so kamen sie alle als Täter in Betracht – ähnlich wie die Besitzer der gesägten Böcke. Also eine Sackgasse? Ja. Er grübelte weiter. Wenn aber der Bohrer nun Spuren aufwies? Blutspuren? Hautreste? Dann sah die Sache schon anders aus. Lapidius blickte nach draußen. Seiner Schätzung nach würde es mindestens noch drei Stunden hell sein. Zeit genug, um die in Frage kommenden Meister aufzusuchen.
    »Dassis doch fix gegangen, nich, Herr?« Marthe stand in der Tür, rosig im Gesicht und einen Schwall kühler Luft

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