Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
behutsam zur Werkstatt vortastete. Seine Ängste erwiesen sich als unbegründet. Das Haus strahlte tiefen Frieden aus; alles schien fest zu schlafen. Selbst der Hund, der in der Ferne gebellt hatte, war verstummt.
    Und da hing der Bohrer auch schon. Lapidius packte ihn an den Griffen und schob ihn sich wie ein Messer unter den Gürtel. Allerdings war er größer, bald zwei Fuß lang, und entsprechend schwer und sperrig. Durch den ersten raschen Erfolg beflügelt, begann Lapidius sich umzusehen. Wenn der Frauenkopf hier mit Hörnern versehen worden war, lag es nahe, dass auch der dazugehörige Rumpf sich in der Nähe befand. Aber wo? Ein mannshoher Schrank lud förmlich zu einer Untersuchung ein. Doch er enthielt nur Schaufeln und Besen – Gerät, das im Winter zum Schneeschippen gebraucht wurde.
    Ähnlich erging es Lapidius mit einer Abstellkammer und einer Abseite. Konzentriert suchte er weiter. Er fühlte sich mittlerweile sicherer und bewegte sich schnell und lautlos. Neben der eigentlichen Werkstatt, so fand er heraus, lag eine weitere von geringerer Größe. Hier sah er sich besonders sorgfältig um, denn der Raum war ihm unbekannt. Er enthielt ebenfalls eine Werkbank, dazu verschiedenes Schlosserwerkzeug. Es gab noch eine weitere Bank mit kleinem Schraubstock, und fast hätte Lapidius einen Pfiff ausgestoßen, als er gewahr wurde, was an dieser Stelle gefertigt wurde: Es waren Radschlösser für Pistolen und Musketen. Tauflieb war also, wie viele seiner Zunft, nicht nur Schlosser, sondern auch Schlossmacher.
    Dass Lapidius’ Feststellung richtig war, unterstrichen mehrere Halterungen, in denen Musketen senkrecht stehend aufbewahrt wurden. In einer Ecke befand sich etwas Sonderbares. Ein Fremdkörper in einer Werkstatt wie dieser. Es handelte sich um ein Exemplar der riesigen Erntekörbe, wie Lapidius sie bei der schiefen Jule gesehen hatte. Der Korb reichte ihm bis zur Schulter, was beachtlich war, denn Lapidius maß nahezu sechs Fuß. Allerdings enthielt er nichts.
    Lapidius ließ von dem ungewöhnlichen Gegenstand ab und setzte seine Suche nach dem Frauenrumpf fort. Er kam in einen weiteren Raum und stellte fest, dass es die Küche war. Sie sah anders aus als Marthes Reich und wirkte kaum benutzt. Wahrscheinlich, weil keine Frau im Haus war. Doch auch hier gab es einen Stollenschrank, einen Tisch, Borde und Regale. Ob es auch eine Vorratsgrube gab? Mit unendlicher Vorsicht hob Lapidius den Küchentisch an und setzte ihn an die Wand neben die Feuerstelle. Dann leuchtete er die Dielen ab. Und tatsächlich: Eine Tür war in den Boden eingelassen. Da befand sich auch schon der Griff. Bevor Lapidius daran zog, lauschte er noch einmal angespannt, doch das Haus vermittelte nach wie vor den Eindruck tiefster Ruhe.
    Ihm fiel ein, dass dies der Ort war, an dem noch am ehesten der gesuchte Körper verwahrt werden konnte – nicht umsonst hielt auch er den Frauenkopf bei sich im Erdreich versteckt –, und zog die Tür nach oben. Er musste es langsam tun und häufig Halt machen, denn diese Scharniere schien Tauflieb in seinem Pflegebedürfnis übersehen zu haben. Immer wieder knarrten sie leise, aber endlich war es geschafft. Lapidius öffnete die Tür weiter als einen rechten Winkel und lehnte sie an den Küchentisch.
    Dann, mit pochendem Puls, ließ er sich auf die Knie nieder und leuchtete in das Erdloch hinein. Was er sah, waren Spinnweben und einige alte Töpfe. Wasser hatte sich an den Stützpfeilern niedergeschlagen, winzige Tröpfchen, die im Schein seiner Laterne wie Diamanten glitzerten. Und sonst sah Lapidius – nichts.
    Noch einmal leuchtete er alles ab und erhob sich dann enttäuscht. Gerade wollte er die Tür wieder herablassen, da bellte der Hund erneut. Seine angespannten Nerven ließen ihn herumfahren. Und dann geschah es: Durch die Bewegung schlug die Bohrerspitze gegen die Tür, die dadurch ihres Halts beraubt wurde, herabfiel und krachend in den Boden sauste. Mit einem Aufschrei sprang Lapidius zurück und geriet an den Stollenschrank. Der kam ins Wanken. Große und kleine Teller, Krüge und Kannen lösten sich aus den Halterungen und polterten zu Boden. Ein infernalischer Lärm erfüllte das gesamte Haus.
    Lapidius machte, dass er fortkam. Er eilte zurück in die kleine Werkstatt und von da aus in die große, hetzte nach draußen und hörte hinter sich Taufliebs Stimme:
    »Halt! Halt! Haltet den Dieb! Warte nur, Spitzbube, ich komme! Haaalt!« Lapidius war schon bei den Johannisbeersträuchern und

Weitere Kostenlose Bücher