Die Hochlandhexe Ein Kind der Sünde (German Edition)
war ihm zur Seite bis zum letzten Augenblick; sie aber wurde geschont, geschont um des Kindes willen, und um des Kindes willen, das ihrer als Stütze bedurfte, verschmähte sie den Tod.
Wie sie ihr Leben fristete, ist nicht leicht zu sagen. Ein paar Ziegen waren die einzige Habe, die ihr blieb. Sie ließ sie frei auf den Hutweiden im Gebirge äsen, und niemand jagte sie weg von seinem Grund und Boden. Im Land herrschte Armut und Elend; da konnten die alten Bekannten ihr wenig geben: was von dem eigenen Bedürfnis erspart wurde, nahm freilich gern den Weg zu anderen hin, aber der anderen, die auf Unterstützung angewiesen waren, waren viel.
Von den Leuten im Niederland forderte sie lieber statt zu betteln: Tribut statt Almosen! Denn nie vergaß sie, daß sie des Mac Tavish Mhor Witwe war, und sie wähnte, ihr Kind, das ihr noch am Schoße hing und dem Vater so ähnlich sah, werde dereinst dem Vater nacharten und die gleiche Macht üben wie dieser.
So wenig pflegte sie Umgang und so selten und widerwillig verließ sie die wilden Schlupfwinkel ihrer Berge, daß sie von dem großen tiefgehenden Wandel im Lande nichts spürte, daß sie nichts erfuhr von der bürgerlichen Ordnung, die an Stelle von Clansgewalt trat, und davon, daß die Anhänger von Recht und Gesetz die Macht gewannen über diejenigen, die im gälischen Liede als »des Schwertes stürmische Söhne« gepriesen werden.
Freilich wohl fühlte sie persönlich die Minderung von Ansehen und Gewalt, freilich wohl fühlte sie, daß die Mittel zum Unterhalt für sie knapper und knapper wurden, daß mancher den Tribut weigerte, der ihn bislang entrichtet hatte; aber hierfür war ihrem Begriffe nach Mac Tavish Mhors Tod ausreichender Grund, und ganz außer Frage stand es ihr, daß sie Zu ihrer alten Bedeutung und Wichtigkeit zurückgelangen müsse, sobald Hamish Bean oder, wie sie ihn mit Vorliebe nannte, »ihr Hamish mit dem schönen Haar« alt genug sein werde, die Waffen des Vaters zu führen.
Deshalb kam es nicht selten vor, daß, wenn Elspat mit ihren Anliegen um Lebensmittel für sich und um Futter für ihre Ziegen von einem mürrischen Pächter abgewiesen wurde, die Pächters-Frau durch den finsteren Ausdruck von Elspats Gesicht und durch Furcht vor ihren Drohungen und Verwünschungen sich bestechen ließ, ihr die vom Manne verweigerte Gabe heimlich zuzustecken, freilich nicht ohne den stillen Wunsch, die finstere alte Hexe möchte recht bald den Weg zu ihrem verstorbenen Manne finden, und mit Bedauern darüber, daß sie nicht am selben Tage schon, da dieser seinen Lohn erntete, mitverbrannt worden sei.
Drittes Kapitel
Die Jahre schwanden, und Hamish Bean wuchs zum Jüngling heran. Zwar erlangte er nicht die gewaltige Stärke des Vaters, aber es fehlte dem schönhaarigen Burschen mit den roten Wangen und dem scharfen Adlerauge nicht an Mut und Lebenslust, nicht an Gewandtheit und Frische. Indem sie dem Sohne Leben und Taten des kühnen Vaters fleißig und ausführlich erzählte, suchte die Mutter sein Gemüt für das gleiche Abenteurerleben zu bilden.
Aber die Jungen haben für die Wandlung der Welt und die Forderungen neuen Zeitalters ein schärferes Auge als die Alten, und so groß auch die Liebe war, die Hamish Bean für seine Mutter im Herzen trug, so eifrig er, besorgt war, was in seiner Macht stand, zu ihrer Unterstützung zu tun, so entging ihm doch nicht, als er in die Welt trat, daß das vom Vater betriebene Freibeutergewerbe jetzt nicht bloß höchst gefahrvoll war, sondern als schimpflich und unehrlich galt, und daß sich des Vaters Tapferkeit, wenn er ihr nacheifern wollte, bloß auf anderem Gebiete, das mit der Ansicht der Gegenwart in besserem Einklang stehe, nacheifern lasse.
Je weiter sich die Gaben seines Geistes und seine leiblichen Fähigkeiten ausbildeten, desto besser erkannte er die Ungewißheit seiner Lage und den Irrtum, in welchem die Mutter zufolge ihrer Unbekanntschaft mit den Wandlungen von Zeit und Menschen befangen war. Durch den Umgang mit Bekannten, Freunden und Nachbarn wurde ihm die ärmliche Vermögenslage der Mutter, das geringe Einkommen, auf das sie angewiesen war, das kaum die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse deckte, offenbar. Wenn es ihm auch hin und wieder gelang, durch Jagd und Fischfang ihre kärgliche Nahrung zu mehren, so verhehlte er sich doch nicht, daß es ihm nicht möglich sei, ihr eine regelmäßige Beihilfe zu schaffen, sofern er sich nicht entschloß, bei fremden, Leuten in Dienst zu gehen, daß
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