Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
falls es denn zu einem käme.
    Ich stellte sogar Musiker an, da es heißt, Musik helfe dem Geist häufig dabei, zur Ruhe zu kommen. Es waren ein Flötenspieler, ein Trommler und eine Sängerin, typische Wanderer, aber die Frau hatte eine Stimme, die einem die Seele aus dem Leib locken konnte. Ich ließ sie draußen vor der Tür spielen, in der Hoffnung, dass, wenn ich meine Schuld würde anerkennen müssen, die Musik meine Worte übertönen würde.
    Ich hatte mich vorbereitet, hatte das Messer gezückt, war bereit, Wiedergutmachung anzubieten. War darauf gefasst, dass Calin mich stumm anklagen würde.
    Wie es so häufig bei Menschen der Fall ist, war er kurz vor Tagesanbruch gestorben. Ich saß die Nacht über aufrecht da
und wartete, denn es sind nicht immer auf die Minute genau drei Tage. Ich saß da und lauschte der Flöte und der Trommel, lauschte der Frau, die Lieder über Frieden und Liebe und den Wind in der Morgendämmerung sang. Etwas anderes hörte ich nicht, und selbst jetzt kann ich die Augen nicht schließen, ohne ihre Stimme dabei wieder zu hören. Ich wartete, während die Kerze tropfte und das Licht der grauen Morgendämmerung durch die Läden sickerte, während das weiche Bett von Moment zu Moment immer größer und heller zu werden schien, sodass ich immer wieder angestrengt hinschaute, im Glauben, aus dem Laken forme sich sein Geist, das Kopfkissen sei sein Kopf, die Nackenrolle sein Körper. Das Messer drohte mir aus der schweißnassen Hand zu rutschen, sodass ich es in die andere Hand nehmen und mir den Schweiß an meinem Kleid abwischen musste. Mir war schlecht vor Scham, ich war fiebrig vor Schuldgefühl. Als die ersten gelben Sonnenstrahlen die Fensteröffnung durchschnitten, spannte ich mich an. Jetzt, ja, jetzt musste er kommen, vorwurfsvoll und wütend.
    Ich wartete bis Mittag, bis Sonnenuntergang, doch er kam nicht. Der Heiler hatte ihn gut auf den Tod vorbereitet, und selbst im Grab erkannte er offenbar nicht, dass ich ihn umgebracht hatte.
    Als ich den Riegel von der Tür schob und auf den Gang trat, erhob sich die Sängerin, um mich zu begrüßen. Sie hatten die ganze Zeit über unermüdlich gespielt und sich dabei gegen Ende einander abgewechselt, immer Flöte, Trommel oder Gesang, um ihre Energie so lange zu strecken, bis es vorüber war.
    Ich gab der Frau die Börse, die ich bereitgelegt hatte.
    »Ich hoffe, alles ist gut verlaufen«, sagte sie, was aus dem Mund einer Wandrerin eine Unverschämtheit war. Doch sie war blass und wirkte müde, und ich war ihnen dankbar.

    »Er ist nicht gekommen«, sagte ich.
    »Das ist gut«, erwiderte sie leise. »Er hat seine Ruhe gefunden.«
    Meine Augen füllten sich mit Tränen, und sie waren echt, weil ich wider jede Vernunft hoffte, dass sie Recht hatte, dass meine Verwünschung nicht auch noch sein Leben nach dem Tod vergiftet hatte.
    Dann verengten sich ihre Augen ein wenig, und ihr Kopf neigte sich zur Seite.
    »Wenn Ihr leugnet, wer Ihr seid«, sagte sie ganz leise, »dann wird Euch die Macht überwältigen.«
    Schockiert starrte ich sie an, ungläubig, dass sie das hatte sagen können. Halb glaubte ich, ich hätte mir die Worte aus meinem Schuldgefühl und meiner Verwirrung heraus eingebildet. Als hätte sie überhaupt nichts gesagt, wandte sie sich ab, um ihrem Kollegen dabei zu helfen, die Instrumente einzupacken. Was hatte sie gesehen? Wie hatte ich mich verraten?
    Ich packte sie am Arm, und als sie sich umdrehte und mich anschaute, sah sie meine Angst. »Ihr seid nicht die Einzige, die Macht hat«, versuchte sie mich zu beruhigen. »Andere werden nichts erkennen.«
    Aber wie konnte ich mir dessen sicher sein? Schlimmer noch – wie konnte ich sicher sein, dass ich nicht unwissentlich wieder jemanden verfluchte?
    So zog ich auf die Ländereien meines Mannes und in sein Haus, das nun bis zu meinem Tod mir gehören würde, und ich wurde wie Freite eine Frau ohne Männer, wie es bei Witwen meist der Fall ist. Und wie sie wurde ich eine Frau, die allein lebte, und ich sah niemanden, es sei denn, er klopfte an die Tür, aber ich sorgte dafür, dass niemand klopfte, indem ich grob, geizig und schroff war. Unten im Dorf hielten sie mich für einen verrückten Geizhals.

    Indem ich mich absonderte, schützte ich andere vor einem beiläufigen Gedanken, vor dem Zorn eines Moments. Mich selbst schützte ich dabei vor der Schuld ihres Todes, und jeden Abend schloss ich in Erinnerung an die Sängerin die Augen, an ihre Lieder von Liebe und dem Wind

Weitere Kostenlose Bücher