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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Mattotaupa öffnete nicht gleich den Mund, forderte auch Harka nicht zum Sprechen auf, und in dem Stillschweigen begann der junge Indianer über den möglichen Sinn des Verhaltens seines Vaters nachzudenken.
    Er war jetzt überzeugt, daß Mattotaupa ihm, so wie er schon anfangs vermutet hatte, nachgeschlichen war, und sicher hatte auch der Vater die weißen Männer belauscht; er konnte ebensogut wie Harka deren Sprache verstehen. Wenn Mattotaupa den Weg, den Harka dann einschlug, nicht gebilligt hätte, würde er den Sohn längst haben anhalten können. War Mattotaupa von der gleichen Sorge und demselben Wunsche wie Harka bewegt, wollte auch er Untschida und Uinonah gewarnt wissen? Harka wartete auf das erste Wort des Vaters. Er wartete immer noch. Gewiß, es waren erst wenige Sekunden vergangen, seitdem sie, von Gesträuch gedeckt, einander gegenübersaßen, denn was Harka überlegte, hatte die Schnelle eines Gedankens. Der Mondschimmer wanderte und glitt jetzt auch zwischen die Zweige herein. Harkas Gesicht wurde beleuchtet. Mattotaupa blieb im Dunkel. Als das Stillschweigen noch einen einzigen Augenblick länger gedauert hatte, schlugen Harkas Vorstellungen um, und es überfiel ihn eine Furcht, als ob ihn ein Tier plötzlich mit einer Pranke in den Nacken geschlagen hatte. Was geschah, wenn der Vater anders dachte als Harka? Wenn er Harka für schuldig hielt, auf einem Kundschaftsgang unzuverlässig und ungehorsam gewesen zu sein? Dann geschah irgend etwas, schon grauenvoll dadurch, daß es unvorstellbar war.
    Mattotaupa begann zu sprechen. »Wer bist du?« fragte er den Sohn leise und zu gespannt beherrscht, um noch ruhig zu wirken. Harka antwortete langsam, als ob seine Zunge halb gelähmt sei. »Harka Steinhart Nachtauge … Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger … der Sohn Mattotaupas …« Harka wollte enden, aber die Haltung des Vaters zwang ihn, weiterzusprechen ­ »und Kundschafter des weißen Mannes Joe. Das bin ich.«
    »Das alles bist du gewesen.«
    Harka schluckte. Das feste Gerüst dessen, was er denken, hoffen, empfinden konnte, brach; es brach zu plötzlich.
    Es hätte wiederum ein langes Schweigen eintreten können. Aber das Wasser lief schnell durch sein sandiges Bett dahin und ließ sich nicht aufhalten, der Wind wehte und kehrte nicht zurück, der Morgen aber mußte kommen, und für Vater und Sohn blieb nur eine gemessene Spanne Zeit, um miteinander zu sprechen.
    »Wo soll ich hin«, sagte Harka tonlos. Damit hatte er sich dem Gericht des Vaters ausgeliefert. Er fühlte es selbst.
    »Geh hin, wohin du gehen wolltest und wohin du gehörst, wenn du deinen Vater verachtest und deine Freunde verrätst.«
    Harka wollte nachdenken und antworten, aber seine Nerven und seine Gedanken waren starr und steif und konnten sich sowenig rühren wie seine Lippen. Er brachte nicht ein einziges Wort hervor.
    »Ich halte dich nicht. Geh doch.«
    »N … nei … n.«
    »Weißt du nicht mehr, was du willst?«
    Harka hatte den Kopf gesenkt und schaute in das Gras; langsam beugte er den Rücken, legte die Stirn auf die Arme und verharrte so, in der Haltung des Unterworfenen, der alles aufgibt, der sich aber nicht fürchtet.
    Der Vater saß vor ihm. Mattotaupas Schultern waren etwas vorgefallen, und er mußte den Blick senken, um Harka zu sehen. Die Verzweiflung verkrampfte ihn. Alles hatten ihm die Giftmischer genommen, seine Ehre, seine Heimat, jetzt griffen sie nach dem letzten, was ihm noch geblieben war, nach seinem Sohn. Sie hetzten Harka gegen Jim, sie zogen ihn mit unsichtbaren Fäden zu ihren Zelten. Wie sollte er vor Joe bestehen, als der Vater eines jungen Verräters, der gleich bei seinem ersten Kundschaftsgang zum Feinde zu laufen versuchte? Zu was für einem Feinde! Joe würde den Morgen der toten Fische nie vergessen.
    »Harka, das habe ich nicht gewußt, daß du ein feiger Hund und ein hinterlistiger Fuchs bist. Steh auf und komm. Ich werde dich zu Joe bringen und ihm sagen, daß du uns verraten wolltest. Er mag entscheiden, was mit dir geschieht.«
    Harka hob langsam das Gesicht. »Bring mich hin«, sagte er, noch immer heiser, als ob sein Atem ihm nicht gehorchen wollte. »Aber sage nicht mehr, als was du weißt: Daß du mich auf dem Wege zum Pferdebach gefunden hast.«
    »Wie willst du beweisen, daß du uns nicht verraten wolltest?«
    »Zieh mir die Haut ab. Ich werde nicht schreien.«
    »Ich verlange nicht von dir, was du dir wünschest, sondern wovor du Angst zu haben scheinst wie ein

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