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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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aufzulauern und ihn abzuschießen. Aber jetzt war Frühling, und die Elchhirsche röhrten nicht.
    Jeder der beiden Jungen dachte von nun an nur noch an den Elch, aber keiner wollte es dem anderen gestehen, da es doch vermessen war, wenn Knaben, die erst den dreizehnten Sommer sahen, einen Elch erlegen wollten. Stark wie ein Hirsch ließ sich nicht ablenken, sondern führte über die feuchtmoorigen Wiesen, zum Teil auch durch Wald, in genau der Richtung weiter, die er sich vorgenommen hatte, um zum alten Winterplatz seiner Stammesgruppe zu gelangen. Er und auch Harka konnten vor sich selbst aber nicht verbergen, daß sie befriedigt waren, die Elchfährte nicht zu verlieren. Das Tier war ihnen am Tag vorher in der gesuchten Richtung vorausgelaufen. Es hatte hin und wieder haltgemacht, um junge Triebe und Knospen am Waldrand abzuäsen, dann war es ohne Eile weitergezogen. Die Knaben gelangten an einen Wildbach, der durch Wald und Wiesen abwärts schäumte und sein Bett schon bis auf den felsigen Grund gegraben hatte. Das Bachbett verlief in großen Stufen; das Wasser lief fünf oder sechs, bis zu zehn und zwanzig Meter flach, um dann jeweils in einem kleinen Wasserfall die Steilwand zu überspülen. Die Fluten blinkten und blitzten; auf dem Grund war jedes Steinchen, ja jedes Sandkorn zu sehen. Einzelne der Wasserfälle gingen über glatt gescheuerte Felsränder wie Schleier hernieder, durch die man hindurchschauen konnte. Es war schon recht warm geworden. Die Sonne schien von ihrer Mittagshöhe zwischen den Tannen hindurch auf den Bach herein. Die Mustangs hatten Durst, und auch für die Jungen war es verlockend, hier eine Rast einzulegen. Sie hatten unter kleinen Uferüberhängen Forellen entdeckt, die im Wasser standen, und wollten sie mit der Hand greifen. Außerdem gab es auf den Terrassen des Bachbettes Stellen, in denen sich das Wasser zu blaugrün leuchtender Tiefe sammelte und zum Baden einlud.
    Die beiden Knaben glitten von den Mustangs, machten die Tiere an Bäumen fest, so lose, daß sie saufen und weiden konnten, und legten sich dann selbst an das Ufer, um Forellen zu fangen. Blitzschnell griff jeder am gewählten Platze zu, und da die Fische auf den Angriff nicht gefaßt gewesen waren, hatte jeder der Knaben eine Forelle gefangen. Stark wie ein Hirsch hielt einen großen Fisch mit bemoostem Rücken in der Hand, Harka einen kleinen schlanken. Die Jungen töteten die Fische rasch und machten sich ein wenig Feuer, um sie gleich in der Asche zu rösten. Der Duft regte den Appetit an; sie merkten auf einmal, daß sie schon wieder Hunger hatten, und verzehrten die redlich geteilte Mahlzeit mit großem Wohlbehagen. Es entging ihrer Aufmerksamkeit dabei nicht, daß sie an einer Stelle lagerten, an der auch der Elch kurz gerastet und gesoffen hatte. In seiner tief eingedrückten Fährte hatte sich Wasser gesammelt. Nach der Spur zu urteilen, war er dann weiter bergan gelaufen. Die Jungen zogen sich aus, um zu baden. Das sonnendurchflutete Wasser war kalt, aber von einer köstlichen Frische. Sie vergnügten sich damit, einander zu spritzen, im Wasser miteinander zu ringen und sich unter den nächsten Wasserfall zu stellen, so daß ihnen das Wasser eiskalt über Nacken und Rücken lief. Schließlich verkrochen sie sich zum Spaß hinter dem Wasserschleier und hielten durch das Wasser hindurch Ausschau.
    Da wurden sie aufgestört. Im Wald, nicht weit vom Bach, erklang ein Knacken und Krachen, als ob ein Riese zwischen Bäumen und Gesträuch dahinstürme und alles niedertrete und zerbreche, was ihm im Wege war. Die Jungen, die eben hinter dem Wasserschleier hockten, wollten hervorspringen, um sofort die Waffen an sich zu nehmen, aber da war es schon zu spät.
    Zwischen den Bäumen brach der Elch hervor. Wenn die Jungen ehrlich gegen sich selbst waren, mußten sie sich eingestehen, daß sie tief erschraken. Dieser Riese des Waldes mit dem mächtigen Schaufelgeweih war in Wut. Er hatte das Geweih gesenkt, wie um einen Feind anzunehmen. Jetzt lief er über den Lagerplatz der Knaben; er trat dabei das Feuer aus. Schon war er weiter, mitten im Bach, auf der Terrasse, auf die der Wasserfall niederfiel, hinter dem die Knaben hockten. Sie rührten sich nicht; wie Bronzefiguren standen sie, in gebückter Haltung. Die Augen hatten sie fast ganz geschlossen, um nicht durch ihren Blick den Blick des Elches auf sich zu lenken. Aber unter den gesenkten Lidern, zwischen den Wimpern hindurch beobachteten sie ihn. Die breiten Hufe, die

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