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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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– und schob sich dann hindurch. Dahinter war – nichts. Das Mädchen war verschwunden.
    Großfuß blieb stehen, für einen Augenblick verwirrt. Und dann ertönte ein Kichern wie von einem Menschen. Jetzt hatte er begriffen: Carolyn war wohl dort, aber unsichtbar. Bruder Paul hatte sie per Animation ausgeblendet. Das Ungeheuer reckte lauschend den Kopf.
    Hinter ihm keuchte Bruder Paul in dem Versuch, Carolyns Atemgeräusch zu übertönen. Er hatte noch nicht gelernt, wie man Laute produzierte. Aber das verriet ihn ; jetzt wußte Groß fuß, daß sich eine weitere Person auf dem Grat befand. Bruder Paul machte in seiner Eile ebenso viele Fehler wie richtige Schritte. Und die Zeit verrann.
    Dann ertönte von unten ein Schrei. Es war Lee. „Was geht da vor? Wir werden einen Sturm bekommen!“
    „Großfuß ist hinter Carolyn her!“ schrie Bruder Paul. „Ich kann ihn nicht aufhalten!“
    „Ich komme hoch!“ rief Lee.
    „Nein! Wir haben keine Zeit mehr. Suche eine Waffe, Steine, irgend etwas!“ Doch in der Agonie der Unentschiedenheit hatte Bruder Paul die Animation aus dem Griff verloren. Carolyn tauchte wieder auf.
    Großfuß stieß einen rauhen Siegesschrei aus. Dann griff er an.
    Bruder Paul sprang hinter ihm her und konzentrierte sich erneut. Neben der ersten Carolyn erschien eine zweite, dann eine dritte.
    „Lauf herum!“ rief er ihr zu. „Dann weiß er nicht, welche die richtige ist.“ Aber sie war vor Entsetzen wie erstarrt.
    Großfuß näherte sich dem echten Kind. Er streckte den haarigen Arm aus und hob sie in die Höhe.
    „Daddy!“ schrie sie verzweifelt.
    Bruder Paul schlug zu. Mit dem Kopf stieß er Großfuß in den Bauch. Er legte sein gesamtes Körpergewicht in diesen Schlag, und das Ungeheuer wich einen Schritt zurück. Bruder Paul nahm eine neue Gestalt an, während er sich innerhalb der Reichweite Großfuß, aufrichtete und nach dem Kind griff.
    Großfuß starrte ihn mit einer Miene fast menschlich wirkender Verärgerung an. Dann trat sein Hinterfuß, der Halt auf dem Grat suchte, ins Leere.
    Bruder Paul zerrte Carolyn aus dem Griff des Ungeheuers frei, während es hinstürzte. Großfuß wedelte mit den Armen, konnte jedoch sein Gleichgewicht nicht wiedererlangen. Er fiel hinab – zehn Meter tief an den Fuß des Felsens.
    Dann erreichte Lee den Grat. Er blickte hinab auf das still daliegende Ungeheuer. „Mein Gott!“ schrie er. „Es ist der Swami!“
    Bruder Paul starrte hinab. Es war der Swami – und er sah tot aus.
    Carolyn hatte „Daddy!“ geschrien. Bruder Paul hatte diesen Ruf falsch verstanden. Sie hatte im letzten Augenblick ihren leiblichen Vater erkannt. Das hatte Bruder Paul unbewußt auch; nur des Swamis Beherrschung von ki oder kundalini konnte Großfuß’ Stärke bewirkt haben. Die letzte Gestalt, die Bruder Paul angenommen hatte, war die des Swami selber gewesen. Großfuß war beim Anblick seines Alter ego erstaunt gewesen – und hatte aus Unachtsamkeit den einzigen Fehltritt begangen, der sein Schicksal besiegelte.
    Bruder Paul hatte Carolyns richtigen Vater getötet.
    „Komm hier weg, Kleines“, murmelte Lee und legte den Arm um Carolyns Schulter. Ihr Gesicht war wie eine starre Maske mit trockenen Augen. Sie gehorchte.
    Wie betäubt sah Bruder Paul sie fortgehen, und es kam ihm wie ein dejà-vu-Erlebnis vor. Dieses war schon einmal geschehen … ein Mann und ein Kind wichen vor dem Entsetzlichen zurück – am Tor zur Hölle.
    Und was er hier erlebte, war ebenfalls die Hölle – und es war die Realität.
     
    Bruder Paul lief allein in Pfarrer Siltz’ Hütte zurück und erwartete dort seine Ehrengarde, die ihn in die Materieübertragungskapsel geleiten würde. Seine Mission hier war beendet, die persönlichen Beziehungen waren entwirrt – aber seine Depression war geblieben. Wenn er doch nur die Klugheit der Erfahrung gehabt hätte, ehe er den wirklichen Vater seiner Tochter tötete. Die Zeichen waren sichtbar gewesen; es hätte nur des Verstandes bedurft, sie zu deuten. Der Swami, ein ernsthafter Mensch, der keine anderen Religionen akzeptierte, verfügte über starke Körperkraft. Er war nicht in der Lage, die Weigerung seiner Frau zu ertragen, ihrem Glauben treu zu bleiben. Am Rande der Animationen hatte seine wilde, bestialische Wut körperliche Gestalt angenommen – vielleicht das Resultat einer positiven Verstärkung. Wut, Schuldgefühl, Wahnsinn: Animationen konnten wie eine destruktive Droge wirken, wie Heroin, Kokain, LSD oder Mnem, und sie

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